Prolog
Prolog
Am Anfang schufen die Götter drei Welten. Drei Welten, die weder zeitlich noch räumlich von einander getrennt waren. Eine Trennung erfolgte rein dimensional zum Schutz des Errichteten. Die erste geschaffene Welt war Zara die Morgendämmerung, die sie mit Wesen füllten, die zusammen in Harmonie zu leben hatten. Sie beherbergte die Tiere des Meeres, des Landes und der Lüfte. Das intelligente Leben bestand nur aus der Menschheit, sie waren die alleinigen Herrscher dieser Welt. Diese Welt sollte das Schöne beherbergen und den Frieden, sie war vollkommen. Die zweite Welt war eine Zwischenwelt, in der die Menschen nicht die einzige intelligente Lebensform darstellten. Hier schufen die Götter Wesen, die in der ersten Welt für Disharmonie gesorgt hätten. Sie schuf eine zusätzliche Barriere für die dritte Welt. Aber auch hier sollten die Wesen in Harmonie leben. Bestimmt zum Schutze der Zara, gaben sie ihr den Namen Badria, als ewiger Begleiter und Schützer. Die dritte Welt unterschied sich von der ersten und zweiten maßgeblich. Die dortige Erde war ein Ball aus Extremen und stellte für die dortigen Lebewesen eine permanente Qual dar. Während in manchen Ebenen das Gestein förmlich glühte, war es in anderen so kalt, dass einem der Atem gefror. Die dortigen Völker hatten um das Nötigste zu kämpfen, immer wieder kam es an Orten mit gemäßigtem Klima und Wasser zu Schlachten bis auf den Tod. In diese Welt sollten alle Wesen verbannt werden, die eine Gefahr in den anderen Welten darstellten. Sie erhielt den Namen Kalam, die brennende Fackel. Um die Zara vor alle dem zu schützen musste in der Badria aufgerüstet werden. So erhielten die den Menschen ähnlichsten Wesen die Fähigkeiten der Magie in Verbindung mit der Aufgabe für permanenten Schutz der Zara zu sorgen.
Die Götter bestimmten vier Bewahrer, die den Schutz zu garantieren hatten.
Aidan war der Bewahrer der höllischen Kalam und der Bewahrer der notwendigen Grenze, Darach der Bewahrer der Zara, in der er für Harmonie zu sorgen hatte und Carney der Bewahrer der Badria.
Der Letzte Bewahrer war Chronos - der Herr der Zeit. Er war unabhängig von allen Bewahrern und sorgte für das Gleichgewicht der Zeit in allen Welten. Er war der Beauftragte für den Erhalt des Anfangs und des Endes, ohne ihn gäbe es kein neues Leben aber auch keinen Tod. Er erhielt das wichtigste aller Naturgesetze in den Welten. Carney machte es sich zur Aufgabe die Zauberer der Badria zu unterrichten. Sie sollten sein Werk vollbringen, da die Lebenszeit der Bewahrer ungewiss war. Er musste für den nachhaltigen Schutz der Welten sorgen. Es bildeten sich einzelne Hochschulen für vier Bildungsrichtungen, die zusammen den Schutz garantierten.
Mittlerweile waren alle Bewahrer bis auf Chronos verschwunden. Nur Carney hatte für die Zukunft durch Portale zwischen den Welten vorgesorgt. Von der Zara führte ein Portal in die Badria, welche selbst ein Portal in die Kalam beherbergte, das jedoch verschlossen war. Es dauerte nicht lang, bis erste Konflikte entstanden. Eine zu beginn geringere Anzahl von Zauberern der Badria sahen es nicht länger ein, für eine andere Welt als Schutzherren zu fungieren. Sie selbst hatten immer wieder zahlreiche Opfer zu beklagen, wenn das Portal der Kalam sich öffnete. Sie mussten ihr Leben hergeben für das von Menschen, die nicht einmal von den Welten wussten. Menschen, die das Paradies mit Füßen traten und ihre Lebenszeit verschwendeten. So beschlossen sie, die Zara zu erobern. Alleine würden sie dies jedoch niemals schaffen, da die Zauberer der Badria und der Hohe Rat sie vernichtet hätten. So zogen sie sich in den Untergrund zurück, bildeten Armeen aus und schmiedeten Pläne. Doch auch die Armeen hätten nicht ausgereicht, um bis zur Zara vorzustoßen. Somit mussten sie sich mit den Kreaturen der Kalam verbünden. Jeden Monatsanfang öffnete sich das Portal für diplomatische Geschäfte und einige der Abtrünnigen schleusten sich als Diplomaten ein. Es formierten sich zwei Gruppen von unheimlicher Stärke, die nun das gesamte System zu Fall bringen drohten. Zunächst starten die Wesen der Kalam einen Angriff ihrer Seite auf die Wächter des Portals. Kurz darauf ertönte in der Badria die Sirene des Carney, wodurch ein Großteil der Hüter in die Schlacht zog, um auf der anderen Seite den Aufstand niederzuschlagen. Dadurch waren die Truppen der Badria in der Unterzahl und die Abtrünnigen konnten das Portal für sich gewinnen. Eingekesselt fielen tausende Zauberer zerrissen zwischen beiden Welten. Die Lopoden waren die Anführer der Wesen der Kalam und machten sich direkt mit den Abtrünnigen auf den Weg, den Hohen Rat zu stürzen. Auf ihrem Weg töten sie alle Zauberer, die sich ihnen nicht anschlossen. Wie ein Feuersturm wüteten sie in Dörfern und Städten. Auch vor Kindern und Frauen machten sie nicht halt. Am ersten Tag ihrer Reise verwüsteten sie bereits ganze Landstriche und hinterließen nichts als den Tod, Elend und Leid.
Der Hohe Rat musste die angreifenden Armee zurückschlagen. So beschlossen sie eine Waffe zu fertigen aus vier Reliquien. Den mächtigen Streitkolben des Kriegsherren Aidan, den Zauberstab des Schutzherren Carney, die Sense des Hirten Darach und die Sanduhr des Hüters der Zeit Chronos.
Kurz bevor die Truppen in den Tempel Dalavan einfallen konnten, schlug der Hohe Rat sie zurück. Beide Seiten hatten heftige Verluste hinzunehmen. In klarer Unterzahl musste sich der Hohe Rat gegen die Wesen der Kalam und die Abtrünnigen verteidigen. Sie schafften es, die Abtrünnigen niederzuschlagen und die Wesen zurück durch das Portal zu jagen. Erschöpft und teilweise verwundet kehrten die übrigen Mitglieder des Hohen Rats zurück in ihren Tempel. Dort zogen sie sich zurück in eine Befestigung in der Tiefe. Die Befestigung um das Portal zur Kalam wurde verbessert und die Diplomatie eingestellt. Das Portal gilt als uneinnehmbar und gleicht einer riesigen Feste. Bewacht von magischen Wesen und den besten Zauberern kam es zu keinen weiteren Angriffen auf das Portal. Doch weiterhin gab es Abtrünnige Zauberer die nur darauf warteten, eine neue Armee zu bilden. Sie lebten im Untergrund und agierten im Geheimen. Niemand wusste wer zu ihrem Bund gehörte und was genau ihr Plan war. Nur zwei Dinge standen fest. Sie wollten den Hohen Rat erneut versuchen zu stürzen, um Zugang zur Zara zu erhalten und es gab eine feste Rangordnung. Die Abtrünnigen wurden von drei Führern geleitet, doch wer diese waren, wusste niemand.
Das Haus in der Hermelinstraße 23
In einer kleinen Vorstadt vor Berlin saßen der fünfzehnjährige Marc Darwin und dessen Pflegefamilie die Mayers am Esstisch. Auf dem Tisch standen einige Brötchen, Beläge und Würste. Die Stimmung war bedrückt in dem Einfamilienhaus, denn Herr Mayer hatte eine Beförderung in einer großen Firma nicht annehmen können, da er dafür hätte umziehen müssen. Er sah es nicht ein, dass seine Familie nicht umziehen wollte, da sein Pflegesohn und sein leibliches Kind neue Freunde hätten finden können. Sein leiblicher Sohn war ein schüchterner und verwirrt wirkender Knabe. Er schlug sich auf die Seite seines Vaters, obwohl er die größten Schwierigkeiten gehabt hätte, neue Freunde zu finden und sich zu integrieren. Frau Mayer versuchte die Stimmung zu heben und begann mit ihrer Familie zu sprechen.
Frau Mayer fragte daher: „Marc, wie war es gestern bei deinem Freund Martin?
Marc antwortet leicht schmunzelnd: „Ganz in Ordnung, sein Vater hatte uns einen selbst gebrannten Schnaps probieren lassen.“
Frau Mayer war entsetzt und musste direkt nachhaken: „Er hat euch Alkohol gegeben?“
Marc wollte nicht, dass der Vater seines Freundes Ärger bekäme, schließlich war er immer nett zu ihnen und auch großzügig: „Ja, aber nur einen Schluck!“
Frau Mayer nahm ihm das jedoch nicht ab und bohrte weiter: „Wirklich nur einen?“
Marc fühlte sich bedrängt und antwortete hastig: „Ja, nur einen. Aber ich hätte auch mehr genommen.“
Herr Mayer merkte, dass sie ihn bedrängte und versuchte, schlau, wie er war, die Situation zu retten. Schließlich war er mit dem Vater des Jungens ebenfalls befreundet. Daher rief er in das nahezu verhörartige Gespräch hinein: „Das ist mein Junge!“
Seine Strategie ging auf. Sie ließ sofort von Marc ab und stürzte sich auf sein eher unangebrachtes Kommentar: „Ja, das gefällt dir, er wird genau wie du in deiner Jugend! Tagsüber ein fleißiger Kerl und Abends wird auf den Putz gehauen.“
Lachend lehnte er sich zurück, im Wissen, dass sein Plan funktioniert hatte und entgegnet ihr leicht spöttisch: „Früher hat dich das auch nicht gestört und wie du siehst, ist aus mir etwas geworden. Hätte ja sogar befördert werden können. Ins Management einsteigen können und die Gehaltserhöhung wäre auch nicht schlecht gewesen.“
Mit seiner Beförderung nervte er bereits eine Weile, daher schlug ihre Stimmung in Unlaune, weswegen sie in einem leicht erhitzen Tonfall ihren Mann zurück zu weisen versuchte: „Jetzt fang mir nicht schon wieder damit an, du weißt, dass du aktuell mehr als genug Geld verdienst. Uns geht es finanziell gut und wir haben genügend Rücklagen. Der Fond von deinem Cousin entwickelt sich zudem auch prächtig. Deine aktuelle Stelle macht dir doch auch Spaß. Schließlich bist du auch dort der Leiter eines Fachbereichs.“
Er blieb jedoch standhaft: „Das stimmt schon, aber dennoch hätte mir der neue Job ebenfalls zugesagt. Endlich bei den Großen mitmischen in der Firma. Wir kriegen immer den Unrat der Großen ab und meinst du die erreicht auch nur ein Hauch von Kritik?
Da meldete sich sein leiblicher Sohn Sebastian zu Wort, der seinen Vater als größtes Vorbild sah. Sei es, weil er noch recht jung war oder einfach einen sonderbareren Fall für sich darstellte: Nein Papa, die bekommt ihr immer ab. Ich war ja für den Umzug. Aber die beiden nicht.“
Sein Vater fühlte sich dadurch bestätigt und stichelte weiter: „Genau so sieht es aus!
Doch Marc war das alles Leid, weswegen er seinen Frust zum Ausdruck brachte: „Ganz ehrlich, die letzten drei Tage gibt es hier nur ein verdammtes Thema. Wir wissen, dass du hättest befördert werden können. Aber du hast abgelehnt. Netter Zug von dir und die Sache ist gegessen. Ich kann mir diese Vorwürfe nicht länger anhören. Ich esse in meinem Zimmer.“
Marc stand auf, schob seinen Stuhl an den Tisch und nahm einen Teller mit zwei Brötchen. Auf der Treppe stehend sprach sein Pflegevater zu ihm: „Trotzdem ärgert mich das weiterhin, auch wenn ich mich wiederhole. Guten Hunger da oben!“
In seinem Zimmer angekommen, legte er seinen Teller auf dem Schreibtisch ab. Beim Essen dachte er an seinen Geburtstag in zwei Tagen. Genüsslich biss er in sein Brötchen und schaute fern. Von dem Programm gelangweilt, vertiefte er seine Gedanken über den Geburtstag. Er hoffte, dass sich das endlich mit der Nörgelei seines Vaters legte. Nachäffend dachte er genervt über seinen Bruder nach: „Ich war ja für den Umzug.“ Seiner Meinung nach hätte er vielleicht in zwei Jahren wieder so viele Freunde, wie er es zu dem Zeitpunkt hatte. Außerdem müssten sie die Schule wechseln und das war das erste Schuljahr, in dem er Glück mit den Lehrern hatte. Es gab keine möchtegern Pädagogen, die meinten, sie wüssten alles über sie. Keine Lehrer, die ihnen auf dem Weg nach Hause folgten, in der Hoffnung, sie täten etwas „Verbotenes“, um dann bei deren Eltern zu glänzen.
Zudem wusste er, dass seine Pflegevater eins vergaß. Er war nie der geselligste Kerl und war dies noch immer nicht. Bis er nach seiner Beförderung wieder auch nur die Hälfte seiner aktuellen Beziehungen geknüpft hätte, ginge er in Rente. Aber die Hauptsache für ihn, schien wohl ein Beruf zu sein, der toll klinge und außer ein wenig mehr Geld und Unmengen an Überstunden nichts bereithielt.
In der Küche klirrte das Geschirr, denn der Tisch wurde abgeräumt. Herr Mayer saß frustriert mit einer Zeitschrift auf dem Wohnzimmersessel und Sebastian starrte aus dem Fenster in den Garten der Nachbarn. Seine Arme auf das Fensterbrett aus Marmor stützend, schaute er auf den Koiteich, doch sein Blickfeld störte etwas. Die Nachbarn hatten eine neue Hecke gepflanzt, weswegen er nur einen Teil des Teichs durch die Hecke betrachten konnte. Fluchend drehte er sich um und ging in die Richtung seines Zimmers im Obergeschoss. Marc und er hatten gerechte, gleichgroße Zimmer. Darauf hatten die Mayers beim Kauf des Hauses sehr geachtet, damit sich kein Kind unbeachtet oder bevorzugt fühlte.
Im Zimmer verschwunden und die Türe schließend, verließ Sebastian das Wohnzimmer. Herr Mayer stand auf und half seiner Frau mit dem Geschirr. Hilfsbereit stellte er sich an die Spülmaschine und räumte das, zuvor vom Gröbsten befreite, Geschirr ein. Angenehm ruhig fragte sie ihn: „Was ist jetzt eigentlich mit Marcs Geburtstag? Schenken wir ihm jetzt das Geld für den Führerschein oder doch etwas anderes?“
Er antwortete ihr in einem ebenfalls ruhigen Tonfall: „Wir waren uns doch einig, ich wollte morgen früh los und das Geld abheben.“
Sie zog zufrieden ihre Mundwinkel nach oben, aber dann sprach sie ihn auf die Diskussion am Tisch an. Rasant fielen ihre Mundwinkel wieder herunter: „Gut, dann wäre das geklärt. Aber bitte tue mir einen Gefallen.“
„Der wäre?“, fragte er neugierig.
Worauf sie versuchte, ihn mit der Sache zu konfrontieren ohne die Provokation eines weiteren Streits: „Unterlasse die Vorwürfe in seinem Beisein wegen deiner Beförderung. Du hast jetzt oft genug dein großes Opfer für die Familie aufgezeigt und ja, wir sind dir dankbar. Aber dennoch musst du uns das nicht jeden Tag vorhalten. Irgendwann reicht es auch mal wieder.“
Er war sich seiner Schuld unbewusst und entgegnete: „Aber es ist doch ärgerlich. Stell dir mal vor: wir vier, eine Kreuzfahrt, das Mittelmeer und leckere Cocktails beim Sonnenuntergang.“
„Ja, schön wäre es definitiv“, sagte sie und stellte einen Teller in das Regal, „aber meinst du wirklich, dass das dieses Opfer wert gewesen wäre?“
Er antwortete selbstsicher: „Natürlich, als ob ihr keine neuen Kontakte hättet knüpfen können. Außerdem wären wir nur fünfzig Kilometer weitergezogen. Ihr hättet auch eure alten Kontakte pflegen können.“
Mittlerweile war sie es Leid. „Stur wie ein Panzer!“, nannte sie ihn früher oft. Eigentlich hatte sich das wieder gegeben, doch nun war er wieder zu seinem alten Verhaltensmuster zurückgekehrt, weswegen sie plump erwiderte : „Hätte, hätte, würde, könnte – Ja, ja.“
Davon aufgebracht erhebte er seine Stimme: „Was soll das jetzt? Ich rede mit dir auch in einem normalen Tonfall oder? Ich finde es eben schade, die Chance nicht wahrzunehmen.“
„Das hast du oft genug zum Ausdruck gebracht. Es reicht mir!“, brüllte sie.
Ihm war es genug, leise grummelnd suchte er den Weg zur Tür: „Da schlagen wohl die Wechseljahre zu...“
Sie hatte die Aussage verstanden und war daher richtig wütend, laut protestierte sie: „Jetzt schieben wir es auf mein Alter, (sarkastisch) natürlich. Mein Alter ist daran Schuld, dass du herumnörgelst. Bei dir sind es vielleicht die Wechseljahre, bei mir aber nicht. Weißt du was? Setz' dich wieder in deinen Sessel und schau fern oder lies deine Zeitung! Aber lass mich jetzt einfach in Ruhe und sprich erst wieder mit mir, wenn du mit dieser verdammten Beförderung abgeschlossen hast!“
Genervt zog er ab und setzte sich in den Sessel. Beim Lesen zündete er sich eine Zigarre an, der Rauch umhüllte ihn wie ein leichter Schleier. Mehr und mehr versank er im Dunst und im Sessel. Seine Frau hingegen verließ das Haus, um mit dem Hund spazieren zu gehen. Freudig schloss sie die Tür hinter sich, da sie nun keine Vorwürfe zu ertragen hatte. Zudem hoffte sie, dass er sich, bis sie zurück war, beruhigt hatte. Nach einer Zigarre zeigte er sich meist einsichtig, weswegen sie der Rauch im Zimmer auch nicht störte.
Als sie zurückkam war es bereits dunkel draußen und Sebastian war sogar schon eingeschlafen. Von der Straße betrachtet, sah man in Marcs Zimmer noch den Fernseher laufen. Während sie hereintrat, fiel ihr jedoch auf, dass auch im Wohnzimmer das Licht schon aus war. Sie legte die Leine bei Seite und ging ins Obergeschoss. Dort fand sie ihren Mann im Arbeitszimmer. Mit einem Glas Whisky auf Eis saß er vor dem Laptop. Als sie an der Tür zum Zimmer vorbeilief und sagte, dass sie wieder zurück sei, brummte er nur.
Sie fragte ihn: „Ist deine Laune immer noch nicht besser?“
„Doch ein wenig und tut mir Leid, dass ich dich beleidigt habe.“, entgegnete er einsichtig und nahm einen Schluck aus dem Glas.
Zufrieden informierte sie ihn darüber, dass es schon in Ordnung sei. Sie gab sogar zu, sich im Ton vergriffen zu haben. Etwas, dass man von ihr nur selten hörte. Müde sprach sie weiter: „So lange wir die Diskussion nicht wieder führen müssen, bin ich glücklich – ich für meinen Teil gehe jetzt duschen und ins Bett.“
Vollkommen entspannt lehnte er sich weit in den Sessel und leerte das Glas. Nachdem er es abgestellt hatte, drehte er sich zu seiner Frau und versicherte: „In Ordnung, ich komme dann nach...“
Nach einer halben Stunde erloschen alle Lichter im Hause Mayer. Es kehrte absolute Ruhe ein. Aber das Haus wurde beobachtet. Auf der Straße stand ein Mann in einem langen Mantel. Er war komplett in Schwarz gekleidet und verschwand fast in der Dunkelheit der Nacht. Sein Blick konzentrierte sich auf das Zimmer von Marc Darwin. Wie erstarrt stand er Stunde um Stunde vor dem Haus und selbst der nächtliche Regenschauer hielt ihn nicht davon ab. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, zu weit ragte sein Hut hinunter, beschwert von den dicken Tropfen des Schauers. Gegen zwei Uhr wachte Sebastian auf und bemerkte den Mann vor dem Haus. Als er sich zum Fenster begeben hatte, war der Mann jedoch verschwunden und Sebastian legte sich leicht irritiert wieder schlafen.
Am nächsten morgen saßen alle am Frühstückstisch und bereiteten sich für ihren Arbeits- und Schultag vor. Herr Mayer saß im Anzug mit Krawatte am Tisch, Marc in legerer Kleidung, Sebastian im Hemd und Frau Mayer im Nachthemd vor ihrem Kreuzworträtsel, während ihr Mann in der Zeitung blätterte, erzählte Sebastian von seiner nächtlichen Sichtung, im Glaube es sei ein Traum gewesen.
Aufgeregt berichtete er: „Da stand er (mit dem Finger durch das Fenster auf die Straße deutend) und es regnete. Er trug nur schwarze Kleidung und war nicht zu erkennen und er trug einen albernen Hut mit weiter Krempe und der hat sich nicht bewegt und...“
„Ja, du bist unser kleiner Modepapst in deinem Hemd.“, spottete Marc lachend.
Doch an seinem Selbstbewusstsein kratzte das nicht, er erwiderte flink:
„Ich orientiere mich eben an unserem Vater.“
Doch da musste selbst sein Vater lachen und drehte sich zu ihm hin: „Ganz toll, nur darfst du nicht vergessen, dass du nicht berufstätig bist. So bequem finde ich den Anzug wirklich nicht und vor allem nicht die Krawatte. Jeden Abend bin ich froh, wenn mein Hals endlich wieder unbedeckt ist“
„Bei dem hässlichen Ding ist das auch kein Wunder, Schatz. Dieses Muster ist abscheulich! Außerdem hast du auch viel schönere Teile, aber heute musste es scheinbar diese sein, nicht wahr?“, stichelte seine Frau und kicherte dabei, während sie sich ein wenig Saft einschenkte.
„Wenn du meinst, mir gefällt das Muster.“, antwortete er genervt, „Die ist doch schön und es hat nicht jeder.“
Laut begann sie zu lachen und rief: „Will eben auch keiner!“
Da überkam es sogar Sebastian und er musste schmunzeln. Marc hingegen lachte bereits die ganze Zeit. Für ihn war es ein guter morgen. Gelächter anstatt Streitereien waren ihm eine angenehme Abwechslung.
Herr Mayer schaute auf die Uhr, griff nach seinem Aktenkoffer und wandte in Eile das Wort an seine Familie: „Wenn ihr meint, ich fahre dann mal los und euch noch einen schönen Tag! Mir gefällt sie und ich muss mit ihr herumlaufen!“
Als ihre Söhne und ihr Mann das Haus verlassen hatten, räumte sie den Tisch ab und machte sich fertig. Sie musste noch einige Erledigungen treffen, bevor ihre Söhne wieder zurück waren. Schließlich waren darunter Kleinigkeiten für Marcs Geburtstag, wie die Karte und einige Kleidungsstücke.
Auf dem Weg zu ihrem silbernen Familienwagen, öffnete sie den Briefkasten mit einem Stapel von Briefen und Reklame. Als sie die Zeitung aus dem Rohr holte, schnitt sie sich am Finger. Eilig ging sie zum Auto, die Türe schließend, nahm sie ein Taschentuch mit dem sie ihre kleine Wunde versorgte. Kurz darauf betrachtete sie die Adressaten auf der Post. Einige Briefe waren bereits für den sechzehnten Geburtstag. Darunter auch ein Brief mit goldenem Schriftzug und einem Wappen auf der Rückseite. Das Wappen bestand aus drei waagerecht angeordneten Kreisen. Den Kern bildete eine Sanduhr im Inneren des ersten Kreises, darüber ein rotes Auge. Der rechte Ring war rot und der linke grün. Mühsam verziert bildeten sie ein faustgroßes Wappen. Da sie aber zeitig fertig sein musste, packte sie den Brief eilig zu den anderen Geburtstagskarten und fuhr los.
Am Abend saßen wieder alle zusammen. Herr und Frau Mayer hatten ihre Besorgungen erledigt und genossen die Ruhe an diesem Abend. Zur Abwechslung gab es keine Streitigkeiten oder Vorwürfe. Ein harmonisches Bild bot sich an diesem Abend. In der Nacht gingen erneut die Lichter aus. Marc erwartete sehnsüchtig seinen Geburtstag. Im Bett liegend und dem Laptop auf dem Bauch, mit seinen Freunden schreibend, döste er langsam ein.
Doch auch in dieser Nacht stand ein Mann auf der Straße. Jedoch wartete er dieses mal direkt im Garten des Hauses. Es scheint ein anderer Mann zu sein, da er weit größer und breiter erschien als der Mann der letzten Nacht. Als eine Katze um das Haus schlich, gegen der Bewegungsmelder und dadurch das Licht an. Das Gesicht des Mannes wurde bestrahlt. Er war alt und sein grauer Bart reichte bis zur Brust. Dennoch wirkte er gepflegt. Um den Hals trug er eine lange Kette, mit einem in Gold gefassten Edelstein. Die Kette war so lang, dass sie sogar unter dem Bart deutlich sichtbar hervorragte. In der Hand hielt er einen edlen Stock aus dunklem Holz. Der Griff war aus Silber und von seiner großen Hand fast komplett bedeckt.
Erst bei der Morgendämmerung verschwand er plötzlich. In einem leichten und geruchlosem Nebel aus Rauch. Fast die gleiche Art von Rauch, die auch entstand, wenn Herr Mayer seine Zigarre geraucht hatte. Eine unheimliche Stille kam über die ganze Straße und das Licht ging aus, während die Sonne langsam über den Häusern hervortrat.
Als Marc aufwachte war es bereits hell. Die Vögel zwitscherten und die Ruhe war den Geräuschen von Autos und regem Treiben gewichen. Treiben auf den Straßen und im Haus selbst. Fröhlich stieg der nun Sechzehnjährige aus dem Bett, trat aus der Türe und ging vorbei am zimmer seines Bruders. Noch leicht vom Schlaf ergriffen, wanderte er langsam die Treppe hinunter. Irgendetwas war anders. Er fühlte ein Kribbeln in den Fingerspitzen, als hätte er die Nacht auf ihnen gelegen, wodurch diese eingeschlafen wären. Sich am weißen Treppengeländer stützend, ging er Stufe für Stufe die Treppe aus dunklem Holz herunter. Die Tür zum Esszimmer im Blick.
Ein leichter Duft von Kaffee und Pfannkuchen lag in der Luft. Er hörte das sanfte klirren von Geschirr und klassische Musik im Hintergrund. Auch wenn er kein wirklicher Sympathisant von Klassik war, genoss er die Melodie. Sie war sehr angenehm, unbewusst passte er seinen Gang dem klaren Takt der Musik an und schritt zur Tür. Als er sie öffnete, sah er seine Eltern und Sebastian bereits am Esstisch sitzen. Sie unterhielten sich und bemerkten nicht, dass er bereits anwesend war. Als Marc zur Seite blickte sah er einige Pakete und Karten auf der Kommode stehen. Liebevoll und gut verpackt zu einem Haufen angeordnet. Als die Tür zufiel, bemerkten ihn seine Pflegeeltern. Rasch standen sie auf, um ihm zu gratulieren. Aber das seltsame Gefühl in ihm ließ ihn alles in einer Art Trance wahrnehmen. Die Umarmungen kaum wahrnehmend, bedankte er sich für jegliche Glückwünsche und suchte die Nähe zum nächsten Stuhl. Endlich sitzend brachen seine Pflegeeltern zu ihm.
Frau Mayer fragte besorgt: „Marc?“
Selbst Sebastian schien sich Sorgen zu machen: „Marc?“
Er wirkte ruhig und in sich gekehrt. In seinem Kopf hingegen war alles in einem leichten Dunst, als sei er krank, erschöpft und völlig entkräftet.
Sein Pflegevater drehte seinen Kopf zu ihm und fragte recht besorgt klingend: „Marc ist wirklich alles in Ordnung?“
Langsam legte sich die Trance und er kam mehr und mehr zu sich.
Er entgegnete seinen Eltern: „Ja, alles bestens. Ich bin nur noch etwas müde.“
Leichtgläubig und erheitert sprach sein Pflegevater: „Na dann ist es ja gut, wir wollen doch an unserem großen Tag auch nicht krank sein, oder? Schließlich wird man nur einmal Sechzehn.“
Sebastian mischte sich neunmalklug in das Gespräch ein: „Ja und auch nur einmal elf, zwölf, dreizehn...“
Frau Mayer mochte diese Wesensart ihres Sohnes überhaupt nicht, daher wirkte sie leicht angesäuert als sie sagte: „Klasse Leistung Sebastian, fühlen wir uns nun besser? Wo du nun sogar deinen Vater verbessern kannst?“
Sebastian verstummte und zog sich aus dem Gespräch zurück.
Wohlwollend bat Herr Mayer Marc: „Lang zu (auf das Frühstück deutend)! Noch ist alles warm und ich habe eben schon einen Pfannkuchen probiert. Danach bist du bestimmt wach, die sind vortrefflich!“
Frau Mayer nahm seinen Teller und beruht ihm ein Paar auf den Teller. Ihm den Teller reichend, fragte sie: „Willst du deine Geschenke noch nicht aufmachen? Früher war das immer das erste, was du gemacht hast.“
Herr Mayer bemerkte, dass er noch nicht ganz fit war und unterbrach daher seine Frau: „Lass den Jungen doch zunächst essen. Du siehst doch, dass er was zwischen die Kiemen braucht. Wer nichts ist, kann nichts leisten.
Marc war immer noch in einer leichten Trance, weswegen er recht leise murmelte: „Ich esse jetzt erst auf und dann schaue ich nach, was es so gibt.“
Herr Mayer wirkte stolz und deutete auf die Karte: „Schau als letztes in die Karte, da findest du dein Hauptgeschenk. Eventuell wäre mehr drin gewesen, wäre ich befördert worden.“
Marc und Frau Mayer rollten mit den Augen. Erbost starrte sie ihn an.
In der erbostem Tonfall sagte sie: „Das Thema hatten wir doch erst, musste das jetzt sein?“
Er blickte unschuldig: „Ja, es ärgert mich eben trotzdem.“
Sie trieb das zur Weißglut, hatte sie doch nur einen Wunsch und selbst der war ihr vergönnt: „Das wirst du dich auch noch eine Weile. Aber das müssen wir jetzt nicht wieder ausdiskutieren!“
Wütend schob er seinen Teller zurück, drückte seinen Stuhl nach hinten und stand auf: „Meckere nicht direkt! Ich weiß, dass ich das Thema lassen soll. Aber eben hatte ich es kurz vergessen. Tut mir Leid, aber es wurmt mich nun mal. Ein wenig Verständnis wäre eher angebracht!“
Marc war von dem Streitgespräch immer mehr und mehr genervt. Er umschlang die Gabel mit seiner rechten Hand und seine Adern traten hervor.
Vor Wut platzend brüllte sie: „Warum kannst du es nicht wenigstens heute unterlassen. Aber Nein, Missieu muss sein Opfer immer und immer wieder bestätigt wissen. Das ist doch armselig! Früher hättest du dich anders verhalten!“
Beleidigt drehte er sich von den Tisch weg: „Wenn du meinst, dass meine Wenigkeit hier für negative Stimmung sorgt, dann gehe ich eben. Ich bin dann in meinem Arbeitszimmer, wenn ihr mich sucht!“
Marc hatte es gereicht, wütend erhob er seine Stimme: „Jetzt seid verdammt nochmal beide still! Immer diese sinnlosen Diskussionen über ein und das selbe Thema! Hört auf damit!“
Während er brüllte hielt er die Gabel weiterhin fest in der Hand. Die Gläser beginnen zu vibrieren, die Lampen im Esszimmer zu flackern und Kälte verbreitete sich im gesamten Raum. Die Vögel verstummten, der Plattenspieler ging aus und die Kerzen seiner Geburtstagstorte in der Küche erloschen. Nachdem er seine Wut und Enttäuschung zum Ausdruck gebracht hatte, war es still. Die Gläser hörten auf zu vibrieren, wie auch das Licht aufhörte zu flackern. Nur die Musik und das Zwitschern der Vögel wichen einer absoluten Stille. Die Zeit schien für einen Moment still zu stehen. Langsam ließ Marc die Gabel los, seine Adern wurden weniger sichtbar und die vorherige Röte in den Gesichtern der Eltern wich einer Blässe. Ruhig setzten sich die Eltern wieder an den Tisch. Sie wirkten schuldbewusst. Die merkwürdigen Ereignisse schienen sie nicht bemerkt zu haben, obwohl weiterhin keine Musik zu hören war. Ruhig beendeten sie das Frühstück. Sebastian hatte bereits den Tisch verlassen und war in sein Zimmer gegangen. Marc verließ kurz darauf ebenfalls den Tisch, griff sein Geschirr und legte es in die Spülmaschine. Während er seine Gabel in die Spülmaschine zurücklegte, stellte er fest, dass sich auf ihr dunkle silberne Verfärbungen gebildet hatten. Genau an der Stelle, wo vorher seine Hand gewesen ist. Besorgt schaute er in seine Hand, doch sie war weder verfärbt, noch anderweitig schmutzig. Irritiert verließ er die Küche und ging hinauf ins ein Zimmer. Er holte seine Jacke und seine Schuhe, zog sie an und verließ das Haus.
Erst am Mittag wollte er wieder zum Essen zurück sein, nun brauchte er Luft. Deshalb ging in den Park zwei Straßen weiter. Er mochte die Ruhe und die Natur an sich. Hier war allein, es nörgelt niemand, es gab keine Streitigkeiten und auch nerviger Bruder war weit entfernt. Als er ein paar Runden im Park gegangen war, setzte er sich auf einer Parkbank. Er betrachtete gern die anderen Leute im Park. Nicht weil sie belauschen wollte, sondern weil es interessant fand, was sie so trieben, wie sie sich kleideten und wie sich verhielten.
Während er auf der Parkbank saß, sah er einen alten Mann mit Hut. „Gebildet sieht er aus“, dachte sich Marc. „Sein Gehstock wirkt recht hochwertig, der muss eine gute Stange Geld gekostet haben.“, fuhr er fort. Durch seinen Vater kannte er sich ein wenig mit Hölzern aus. Schließlich war dies dessen Beruf. Einen schwarzen Stock mit einem goldenen Griff nutzte er, um sich abzustützen. Ruhig lief er am Parkufer entlang. Marc betrachtete seinen langen schwarzen Mantel, zu dem er einen Hut trug, der ebenfalls schwarz war. Die lange Krempe des Huts ragte tief in sein Gesicht hinein, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Dennoch wirkte er nicht düster oder dunkel, auch wenn der tiefschwarze Mantel etwas anderes vermittelte. Dazu genoss er viel zu sehr die Natur um sich herum. Langsam näherte sich der alte Mann Marcs Parkbank. Ruhig schritt er zur Bank und fragte, ob denn noch ein Platz frei wäre.
Mag erwiderte höflich: „Natürlich, setzen Sie sich!“
Der alte Mann war sichtlich froh darüber, sich setzen zu dürfen. Aus der Nähe betrachtet, konnte Marc nun endlich den Griff seines Stocks bestaunen. Es war der goldenen Kopf eines Drachens, dessen Augen aus roten Rubinen bestanden. Für Marc wirkte das eher kitschig, aber dennoch faszinierte ihn dieser Stock. Er war so filigran, liebevoll gearbeitet und die Maserung, des dunklen Holzes, war deutlich zu erkennen. Tief schnaufend packte er seinen Hut in den Mantel und holte eine silberne Taschenuhr hervor. Marc wollte nicht zu neugierig wirken und schaute nur ganz kurz auf sie. Auffallend war die Vorderseite, verziert durch ein kleines Symbol, aber er konnte in der kurzen Zeit nicht genau sehen, was es darstellte. Es war einfach nur da.
Nun konnte er auch sein Gesicht sehen. Es war deutlich von Unruhen gezeichnet. Eine tiefe Narbe ragte bis zu seinem Auge, welches von verbrannter Haut umgeben schien. Am Hals waren drei parallele Narben die ihm bis unter den Mantel folgten. Trotz des Barts sah man, wie gezeichnet er vom Leben sein musste. Immer wieder schnaufte der alte Mann tief und ließ seinen Blick über den Park streifen, als suche er nach jemandem. Höflich und zurückhaltend fragte Marc: „Auf wen warten Sie?“
Der Mann schmunzelte nur und antwortete in ruhiger Stimme: „Wen ich suche? Das wird sich heute zeigen. Es ist ein junger Mann mit Fähigkeiten dem Großes bevorsteht. Kennst du eine solche Person?“
Marc irritiert: „Nicht dass ich wüsste. Suchen sie jemanden für Ihre Firma?“
Schmunzelnd fuhr sich der alte Mann durch den Bart, langsam glitten seine Hände durch die gepflegten grauen Haare, während er nach einer Phiole griff. Einen tiefen Schluck nehmend drehte er seinen Blick zu Marc und sagte erheitert: „Von einer Berufung kann man da schon sprechen. Nur hat sie weit weniger mit einem einfachen Job zu tun, als mit einer Lebensaufgabe. Der, den ich suche, wird ein neues Weltbild erfahren.“
Marcs Augen blickten ihn suspekt an und er wandte seinen Kopf von ihm ab.
Marc Darwin, ich bin der festen Überzeugung du kennst den Knaben, den ich suche. „Er war es, der heute sechzehn wurde und bereits von seinen Fähigkeiten gebrauchte ohne es zu merken.“, flüsterte der alte Mann leise.
Nervös wandte er seinen Blick zu ihm zurück und entgegnete: „Sie kennen meinen Namen und sprechen von mir, was wollen Sie von mir?“
Aus seinem Mantel kramte er einen hellen Stab hervor, ebenfalls aus Holz aber weit weniger edel als der Gehstock des Alten. „Ich möchte, dass du diesen Stab nimmst, halte ihn fest und folge meinen Anweisungen!“, bat er Marc. Doch er wies den Stab zurück, stand von der Bank auf und schimpfte: „Ich weiß nicht, was Sie von mir möchten, aber ich habe keinerlei Interesse. Bitte lassen Sie mich in Ruhe.“
„Das kann ich nicht Marc, mein Auftrag ist auszuführen und es gibt für dich kein zurück.“, erwiderte er ruhig.
Marc begann sich von dem alten Mann zu entfernen. Mit kraftvoller Stimme richtete er sein Wort an Marc: „Dein Schicksal liegt nicht hier, du gehörst nicht in die Zara. Das gehörtest du nie und du wirst es auch nie gehören. Du bist ein Waise!“
Immer weiter und schnellen Schrittes lief Marc durch den Wald vorbei an Bäumen, abgeschalteten Laternen, Parkbänken und bog um eine Ecke. Im gesamten Park schien keine weitere Person zu sein. Doch als er um die Ecke bog, stand der alte Mann direkt vor ihm mit gezücktem Gehstock. Mit packender Stimme sagte er: „Dein Weglaufen bringt nichts, nimm den Stab und richte ihn auf mich. Du wirst sehen!“
Marc drehte sich um und ging in die nächste Richtung. „Du wirst sehen, sehen wirst du, hast du gehört!“, wiederholte der alte Mann. An der nächsten Ecke abbiegend stand bereits erneut der alte Mann vor ihm. Doch diesmal packte er ihn an der Schulter. „Mein Freund, sagte ich nicht, dass Weglaufen nichts bringt.“, sprach er lachend und drückte ihm den Stab in die Hand. Marc jedoch rief: „Nun lassen Sie mich schon in Ruhe!“
„Richte den Stab auf mich und alles wird sich dir offenbaren!“, predigte er.
Doch Marc begann zu rennen, erneut in die Arme des Mannes und wieder lief los und wieder gelang er direkt in dessen Arme. Er schien allgegenwärtig zu sein. Marcs Nervosität steigerte sich in Wut und Angst. Fest griff er um den Stab, entriss sich erneut seinen Armen und lief davon. Doch auch der nächste Ausweg war ihm nicht vergönnt. Wieder stand der Mann vor ihm. Der Wind schien zuzunehmen und der wolkenlose Himmel wich grauen Wolken. Das Laub wirbelte durch den Wind davon und der kalte Schweiß lief über Marc Gesicht. Immer mehr steigerte sich seine Angst in Verzweiflung, immer kälter schien es zu werden. Der alte Mann lachte ihn permanent aus und spottete: „Nimm den Stab! Richte ihn auf mich! Lass deiner Wut freien Lauf mein Freund!“ Doch er ersuchte weiterhin die Fluchtmöglichkeiten, deren Zweck von Beginn an unerfüllbar schien. „Trau dich, nutze den Stab, du wirst sehen!“, befahl der alte Mann. Wütend ergriff er letztendlich den Starb und warf ihn gegen den Kopf des alten Mannes. Erneut ergriff er die Flucht doch sein Lachen schien überall. „Nutze ihn nicht so subtil, lass deinen Emotionen, deinem Hass freien Lauf! Schau in deine Tasche, du hast einen neuen Stab!“, wisperte es in Marcs Ohren. Tatsächlich war der Stab zurück in seine Tasche gekehrt. Voller Wut, Hass und Verzweiflung griff er schreiend nach dem Stab, wandte sich zu dem alten Mann und richtete den Stab direkt auf ihn.
„Sehr gut mein Freund, erfahre die Macht der Bewahrer!“, befahl er. Seinen Gehstock mit der Spitze auf den Boden richtend, zog auch er einen Stab aus ihm heraus.
Der Wind peitschte immer heftiger um beide herum, während sich Marcs Hände immer kälter anfühlten und sein Stab begann zu leuchten. „Konzentriere deine Energie auf einen zentralen Punkt. Einen Punkt auf oder in mir! Du wirst sehen!“, rief er laut zu Marc. Fest entschlossen konzentrierte sich Marc auf dessen Herz. Langsam begann sich eine lila farbiger Schleier um die Spitze des Stabs zu bilden. Immer heller wurde das Licht, dass sich an der Spitze sammelte. Der alte Mann erhob seinen Stab und hielt ihn in Marcs Richtung. Sichtbar geblendet von dem gleißenden Licht zielte er jedoch nur auf Marcs Hand. Marc fühlte, wie seine Wut von ihm ging und einem Gefühl der Ruhe wich. Umso mehr die Wut von ihm abließ, desto heller schien das Licht. Bis letztendlich keine Wut mehr zu spüren war und ein heller Strahl auf den alten Mann zuraste. In einer flüssigen Bewegung fing er den Strahl mit seinem Stab ab und richtete die gefangene Energie in den Himmel. Sofort beruhigte sich der Wind. Völlige Ruhe kehrte ein während Marc langsam zu Boden sank und auf seinen Knien landete. Die Finsternis um sie herum löste sich in Sonnenschein auf. Sogar die Vögel waren wieder zu hören. Marc blickte fassungslos auf den Stab und legte ihn behutsam auf den Boden, seinen Blick auf den alten Mann richtend, der mit entschlossenem Schritt auf ihn zu kam. Wahrlich, du bist also der Waise der Zara. Der erste Waise seiner Art, ohne das Wissen über seine Gaben, Berufung und Herkunft. Der Heimatlose wird zurückkehren, wie es von mir verlangt wurde.“, erzählte er ihm kniend und verschwand in einer Säule aus Rauch. Der Stab vor Marc war ebenfalls verschwunden. Eine solche Erschöpfung fühlte er noch nie, langsam senkte er seinen Kopf auf den kühlen Boden des Parks. Immer tiefer sanken seine Augenlider und er schlief ein. Den kalten Boden schien er nicht zu bemerken und immer tiefer versank er im Schlaf. Regungslos dort liegend, liefen Personen an ihm vorbei, doch sahen sie ihn nicht. Er war für ihre Augen nicht sichtbar. Er hingegen begann zu träumen, von oben herab blickte er auf weiße Quellwolken und glitt langsam durch sie hindurch. Wie ein Vogel bahnt er sich den Weg durch die angenehme Nässe der Wolken, ohne seinen Flug kontrollieren zu können. Als er sie durchquert hatte, bot sich ihm eine wunderschöne Aussicht auf Gebirge, Täler und Wälder. Eine völlig unberührte Natur, die er so noch nie gesehen hatte. Vögel streiften seinen Weg und er konnte sie singen hören während er Kurz auf das Gebirge nahm. Berge höher als alles je Gesehene und Wasserfälle deren Getöse kilometerweit zu hören war. Der Duft von allen möglichen Pflanzen lag in der Luft. Eine Luft reiner als die im Park. Über das Wasser eines Flusses zog es ihn und vorbei an Schluchten und winzigen Ufern. Sinnlos und doch wunderschön schien dieser Traum, er hatte keinen Bezug zum Geschehenen, er dachte, das sei der Himmel. Doch der Fluss führte ihn direkt zu einem wunderschön anmutenden Wasserfall, der von einem riesigen Berg hinunter prasselte in den Fluss der so voller Leben schien. Das Wasser war so klar und rein, dass er die Fische beobachten konnte. Sein Blick schien in den Wasserfall eintauchen zu wollen, jedoch stieg er hundert Meter vor ihm plötzlich in die Höhe. Immer näher wanderte an den Berg und folgte dessen Steigung. Nach oben blickend sah er nur Gestein und fühlte eine angenehme Wärme in seiner Brust. Langsam verblasste das rauschen der Wasserfälle im Hintergrund und wich einem engelsgleichen Chorus. Während er die Spitze des Berges erreichte. Völlig überwältigt sah er einen riesigen Tempel am Gipfel, mit Säulen aus Marmor und einem Dach an dem die Wolken vorbeistriffen. Immer näher kam er zu dem Tempel und die Wärme in seiner Brust wurde immer stärker. Keine unangenehme Wärme empfand sie, es war das schönste Gefühl, dass er je spürte. Jegliche Last und Gedanken fielen von ihm ab, völlig auf den Tempel fixierend. Der Chorus klang immer klarer und wie in Trance bildete sich ein Dichter Nabel um ihn herum. Langsam sank er vor dem Eingang herab und als der Nebel sich legte, konnte er seine Hände sehen. Langsam ballte er seine Fäuste und entspannte sie wieder. Er war wieder in der Lage sich zu bewegen. Das Tor des Tempels war verschlossen und das Stück Land, auf dem er stand, führte nur in die Richtung des Tores. Die riesige Tür aus dunklem Holz und Metall wirkte beeindruckend, ein ganzes Haus hätte dort hindurchgleiten können. Zu den Seiten schauend, erblickte er Nichts als den Abgrund und die Säulen des Tempels verziert mit für ihn unbekannten Schriftzügen. Der Boden auf dem er stand, war ebenso aus Marmor wie diese. Der Wind rauschte angenehm über ihn hinweg und der Chorusklang nahm an Intensität weiter zu. Jedoch war der Klang nicht einer Quelle zuzuordnen. Von jeder Richtung war die Intensität die gleiche. Langsam erhob sich die Sonne hinter Marc, beschien das Tor und das Metall begann zu schimmern in den unterschiedlichsten Farbtönen.
Für ihn war klar, das Tor musste das Ziel der gesamten Reise sein. Der alte Mann hatte recht, er würde sehen.
Der Tempel Orimino
Das Tor, vor dem Marc stand, begann zu rattern und klappern. Es klang, als würden hunderte Schlösser und Zahnräder in Bewegung kommen. Der Klang war so massiv, dass er den Chorus fast komplett verdrängte. Wie erstarrt stand Marc auf dem marmorierten Platz vor dem Tor, während es sich langsam aufzutun schien. Ein leichter Spalt zwischen den Toren bildete sich, durch den ein helles Licht auf Marc fiel. Völlig geblendet hielt er seine Hand vor die Augen und bemerkte das mächtige Getöse, dass das Öffnen der Tür verursachte. Nur langsam konnte Marc die Hand senken und blickte auf einen langgezogenen Schatten, der sich aus dem Licht hervortat. Menschenähnlich bewegte sich der Schatten auf ihn zu, während die riesigen Türen des Tors weiterhin aufgingen. Erst als sie auf die Säulen stießen verschwand das helle Licht. Marc konnte einen Mann mit Bart erkennen in einer Art Tunika. Zunächst dachte er an den Mann aus dem Park, jedoch war diese Person weit größer und hatte keine Narbe im Gesicht. Plötzlich blieb die Person in der großen Halle des Tempels stehen und breitete seine Arme aus. In der linken Hand ein Amulett tragend und in der rechten einen alten Holzstock. Der Chorus verstummte schlagartig, als er rief: „Da bist du nun endlich, nach sechzehn Jahren der Unwissenheit über deine Existenz. Groß bist du geworden und nun hast du auch deine Reife erhalten, um eingeweiht zu werden. Tritt ein in die Halle der großen Gefallenen! Tritt ein in den Tempel der Orminio!“
Schüchtern, einen Fuß vor den Anderen setzend, bewegte sich Marc hinein in den Tempel. Als er das Tor passierte überwältigten ihn die Statuen, die in einem Kreis angeordnet waren und sich über die Innenwände des gesamten Tempels erstreckten. Weit höher als jeder Haus in der Straße und aus reinstem Marmor. Alle trugen sie eine Waffe, aber nicht die gleichen. Jede Statue hatte eine eigene Waffe und warf ihren Blick in das Zentrum des Raums. Beim Mann angekommen sprach dieser zu ihm in ruhiger und angenehmer Stimme: „Mein Name ist Avraham und was du hier so bestaunt betrachtest, sind die größten Zauberer, die die Bewahrer hervorbrachten. Vielleicht wirst auch du dir einen Platz an ihrer Seite sichern, denn das ist die größte Ehre, die uns jemals erfahren kann.“
Marc blickte skeptisch und fragte: „Wo sind wir hier, bin ich gestorben?“
Der Mann senkte die Arme und erwiderte mitfühlend: „Nein mein Lieber, du bist nicht verstorben, wenn wir fertig sind, wirst du wieder in deinen Körper in der Zara zurückfinden. Aber vorher müssen wir noch einiges erledigen.“
„Was ist eine Zara?“, fragte Marc.
„Es ist nicht eine Zara, sondern es ist die Zara. Deine Welt und du bist gerade im Reich der Bewahrer. Hier hat alles begonnen, hier tagt der hohe Rat und hier wird auch alles enden. Anfang und Ende sind hier vereint. Dies ist ein heiliger Ort.“, antwortete der Mann, „Mein Name ist übrigens Avraham, deinen Namen kenne ich bereits. Ich bin der Aufgabe zugeteilt, dich in alles einzuweisen und später einer deiner Meister zu werden.“
„Meister?“, fragte Marc verdutzt.
Avraham fuhr fort: „Dazu werden wir später kommen!“ Zunächst einmal schließen wir das Tor, denn wir wollen nicht, dass uns heute jemand anderes besuchen kommt.
Den Stock auf dem Boden auflegend Nimores deresk!“
Langsam schlossen sich die Tore und Avraham griff nach Marcs Arm. „Folge mir, ich zeige dir nun alles!“, bat er Marc. Langsam schritten sie zum Zentrum der Halle, auf dem Boden fanden sich Runen, Zeichnungen und Fugen, die ein riesiges Muster ergaben. Im Zentrum war ein blauer Kreis aus Stein, als sie dort standen, stellte Avraham erneut seinen Stock auf den Boden. „Innokem incenset!“, sprach Avraham und die runde Fläche begann sich zu senken. Beide fuhren hinab in einen zylindrischen Tunnel, der in völliger Dunkelheit lag. Erst nachdem Avraham etwas unverständlich in seinen Bart murmelte, erhellte sich der Raum. Tausende Augen von Statuen, welche in einzelnen Rängen aufgestellt waren, lieferten das Licht. Es war taghell in dem riesigen Raum und sie sanken immer weiter hinunter. Allmählich näherten sie sich einer Bodenfläche. Marc wollte schon vom blauen Kreis springen, doch Avraham hielt ihn zurück und sagte: „Wir müssen noch weiter in den Berg hinabfahren in die Hallen des Sehens und Wissens. Dort wirst du deine Antworten finden und noch einiges mehr.“
Nickend stellte sich Marc wieder an dessen Seite. Immer tiefer versanken sie Im Berg. Mittlerweile hörte Marc ein tiefes Schnaufen, dass von unten zu kommen schien. Fragend blickte er zu Avraham: „Was ist das für ein Schniefen dort unten?“
„Das ist Moresmeg der Hüter und Schützer.“, antwortete er.
Marc stocherte weiter: „Was behütet er denn und wie groß ist er.“
„Er ist das größte Wesen der Zara und auch das stärkste. Was er behütet, wissen nur die Auserwählten des Hohen Rats und der hohe Rat selbst. Manche sagen, er bewache ein Portal und andere sagen, er behüte einen Schatz, den größten aller Welten.“, antwortete er. Während der blaue Kreis immer tiefer hinabfuhr und es langsam kühler wurde. Marc fror in seinem weißen kurzärmligen Shirt langsam während Avraham in seiner Tunika keine Kälte verspüren zu schien. Jedoch merkte Avraham, dass Marc sogar zu zittern begann und Griff mit der linken Hand an das Ende seines Stocks, dass er bereits mit der anderen Hand festhielt und munterte Marc auf: „Kälter wird es nicht werden, wo wir hinabfahren ist es bei weitem wärmer, auch wenn wir uns in einer Halle aus Eis aufhalten werden.“ „In einer Halle aus Eis?“, fragte Marc leicht verwirrt, „dort soll es warm sein, wie habe ich das zu verstehen?“ Lachend antwortete Avraham: „Das wirst du dort schon merken.“
Marc schaute nach oben und sah nichts außer die Dunkelheit, sie mussten bereits einige Kilometer unter dem Berg sein, da das helle Licht der vielen Augen komplett verschwand. Nur die blaue Fläche leuchtete mittlerweile. An die Wände schauend, merkte er, wie schnell sie hinabfuhren. Die Steinwände rasten nur so an ihnen vorbei, während er die Beschleunigung nicht einmal wahrnahm. Er hätte auch in seinem Bett liegen können, bemerkte er und überlegte was mit seinen Pflegeeltern sei. Wenn er verschwunden war, würden sie nach ihm suchen, ihn jedoch niemals finden. Den Gedanken daran nicht aushaltend wandte er sich zu Avraham. Aber in dem Moment begann der blaue Kreis zu pulsieren. Marc wurde zunehmend unruhig, da die Vibrationen unangenehm waren während der Fahrt ins Ungewisse. Beruhigend sagte Avraham: „Wir haben es gleich geschafft, das ist vollkommen normal.“ Avraham wollte fortfahren, jedoch hielt der blaue Kreis plötzlich an. Verwirrt blickte er um sich herum. Marc wirkte erleichtert und dachte, die Fahrt sei vorbei. Jedoch merkte er, dass etwas nichts stimmte, da Avraham seine Ruhe verloren zu haben schien. „Sind wir nun da?“, fragte Marc.
Avraham aber ignorierte ihn und holte aus seiner Tunika einen kleineren Stab. Mit der linken Hand fuhr er an seinen Hals und seine Stimme wirkte um ein Vielfaches verstärkt: „Ich habe mich bei dem Hohen Rat angekündigt! Warum wird uns der Einlass verwehrt?“ Es war absolut still, weiterhin irritiert schaute sich Avraham um und schien nichts zu finden. An den Seiten stieg leichter schwarzer Rauch empor und bildete eine Säule vor beiden. Avraham nahm Marc schützend hinter sich und legte seinen großen Stock bei Seite. Nur den kleinen Stab haltend, richtete er diesen auf die Säule. Langsam legte sich der Rauch und ein junger Mann mit Hut und Anzug wurde sichtbar. Langsam aus dem Rauch tretend, zog der junge Mann seinen Stab und schien damit den Rauch einzusammeln. Nach wenigen Sekunden war er vollkommen im Stab verschwunden. Spottend sprach er zu Avraham: „Der große Meister kommt mal wieder nicht voran, wie ich sehe. Solltet Ihr nicht an der Hochschule unterrichten? Ah, stimmt da war ja etwas, Ihr seid für den Außendienst eingeteilt. Von höchster Priorität wie ich hörte. Aber ich habe schlechte Nachrichten für Sie, der untere Saal ist heute unzugänglich für nicht auserwählte Diener des hohen Rats.“ Leicht erbost entgegnete Avraham: „Lakaiem, Sie als Schutzherr sollten sich nicht so aufspielen. Wie du weißt bin ich im Gegensatz zu Ihnen kein Diener des Hohen Rats. Ich bin als Schulmeister der Hochschule sehr wohl befugt die Hallen zu betreten. Außerdem erwartet mich bereits das Orakel von Orimino.“ Marc blickte hinter der Tunika Avrahams nur kurz hervor und versteckte sich danach wieder. „Das ist also dein Auftrag da hinten, komm und lass dich einmal ansehen!“, reif er mit einer Stimme, die der eines Verrückten anmutete. Avraham jedoch lehnte seinen Wunsch ab: „Er ist dem Orakel vorbestimmt und Sie haben kein Anrecht Waisen zu betrachten, bevor sie beim Orakel waren.“ „Aaaber so selten bekommt man einen zu sehen. Als Zauberer der Badria geboren und als niederer Mensch der Zara aufgewachsen. Welch eine Bürde das doch sein muss, nicht zu wissen was oder wer man ist. Nun lieber Avraham, wollte das Orakel, dass Sie eintreten, hätte es längst einen Boten geschickt oder etwa nicht? Aktuell kann ich nichts für Sie tun. Sie werden wohl wieder nach oben fahren müssen und lieber Marc, ärgere nicht den Moresmeg bevor er dich ärgert.“, sprach er spottend und verschwand lachend in einer Säule aus Rauch in den Abgrund. Avraham steckte genervt seinen kleinen Stab zurück in die Tunika und griff nach seinem großen Stock. Langsam sprach er: „Innokem decenset!“ Aber es rührte sich nichts. Nur ein leichtes Brummen war zu hören. Erneut sprach er die Worte, doch der blaue Kreis fuhr nicht hinauf. Plötzlich pulsierte er wieder. Langsam schien er sich wieder zu bewegen, aber nach unten. Stück für Stück kamen sie voran. Avraham schmunzelte leicht selbstgefällig während der Kreis wieder an Fahrt zunahm. Avraham hatte Recht behalten, es wurde tatsächlich wärmer während von unten langsam Licht zu schillern begann. Behutsam landeten sie auf einer Runden Wasseroberfläche. Ein paar Meter entfernt war ein Tor, aus dessen Schlitzen Licht fiel. Aber es gab keine Brücke dort hin. Langsam erklang ein tiefer Bass, so tief, dass man ihn nur spürte, aber nicht mehr hörte. Aus dem Bodens stiegen Steinplatten hervor und das Tor öffnete sich. Helles Licht beleuchtete Marcs jugendliches Gesicht. Avraham gewährte ihm den Vortritt und stieß ihn leicht nach vorne. In die Halle der Weisheit eintretend sah Marc in der Mitte einen Thron mit einer Person gehüllt in weiße Tücher. Nur die Augen waren nicht bedeckt. Der Thron schien aus Glas zu sein, da er durchsichtig war. Die Wände waren verziert mit riesigen hohen Eiskristallen. Um die Person in der Mitte bildeten Wachen einen Kreis. Sie trugen dunkle Mäntel, eine Totenkopfmaske aus Chrom, mit leuchtenden Runen verzierte Schulterpolster und waren mit Schwertern bewaffnet. Langsam trat Marc näher zur Person im Kreis. Die Wachen bildeten lautlos eine Gasse und ließen beide passieren. Avraham verbeugte sich vor der Person in der Mitte des Raums. Marc fielen ihre weißen Augen auf, die weißer waren als der Schnee. Ruhig erhob sich die Person und begann zu sprechen in einer weiblichen engelsgleichen Stimme: „Marc Rufus Darwin und Reyak Desmond Avraham beide seid ihr nun endlich hier. Wie ich bemerkte, wollte man euch nicht eintreten lassen, das tut mir Leid.“ Ehrfürchtig blickte Avraham zu ihr rüber und nickte. „Euer Nicken kann ich nicht betrachten, wie ihr wisst, aber ich kann es sehen. Nun zu dir Marc Rufus Darwin, der Waise ist zurückgekehrt in seine Heimat und Zaubern kann er auch schon. So viele Fragen hast du und die Antworten sind so viele. Fangen wir doch einfach mit dem leichtesten an. Wo du bist? In der Badria und gerade in meinem bescheidenen Heim. Wer ich bin? Das Orakel von Orimino. Wie du hierher kamst? Durch einen Mutations- und Steuerungszauber. Warum ich dich Waise nenne? Weil du einer bist, aber das weißt du ja schon, schließlich ist dir bewusst, dass Familie Mayer nur deine Pflegefamilie ist. Wer deine Eltern waren? Große Zauberer, die dich in der Zara, deiner Welt, großziehen wollten. Leider ist das nicht gestattet und der Hohe Rat hätte einschreiten müssen. Aber aufgrund der großen Taten deiner Eltern wurde es ihnen erlaubt. Doch dies gefiel einigen Zauberern nicht, weswegen sie sie umbrachten. Im Blut deiner Eltern liegend fanden wir dich vor dem Portal. Warum du in die Zara geschickt wurdest? Dort warst du sicher, die Mörder hatten dich nicht bewusst am Leben gelassen, sie dachten, du seist auch tot. Daher mussten wir dich an den sichersten Ort bringen. Du bist der erste deiner Art. Ein Zauberer geboren in der Badria, aufgewachsen in der Zara und ausgebildet hier. An der Hochschule der bildenden Zauberei. Doch dein Schicksal wird noch mehr für dich bereithalten. Doch was das ist, kann ich noch nicht ganz klar sehen. Was nun passiert? Du wirst zunächst in deinen Körper zurückfahren in der Zara. Dann wirst du dich von deiner Familie lösen müssen und wirst an unserer Hochschule ausgebildet. Avraham wird dich begleiten und er ist auch dein Schulmeister. Was mit deinen Eltern passiert? Dazu wird dir Avraham alles sagen. Jetzt müsst ihr auf jeden Fall los, ich muss nun dem Hohen Rat beiwohnen. Meine treuen Wachen, führt sie bitte sicher zum Ausgang.
Vielen Dank Avraham, du hast deine Aufgabe löblich erfüllt, die Reliquie der Stalin möge wieder dir gehören. Ein Gesandter wird sie dir überbringen. Aber nun auf Wiedersehen!“, sagte das Orakel, während Marc es anstarrte. Seine Gedanken hatte es lesen können und sogar einige Fragen beantworten können. Völlig fasziniert betrachtete Marc das Orakel, dass sich in hellen Rauch auflöste und davonflog. Langsam traten die Wachen stumm an Avraham und Marc heran. Sie griffen behutsam nach ihnen und bildeten eine große Rauchwolke um sie herum. Marc merkte, dass sie flogen, aber sie waren so schnell, dass sie schon nach kurzer Zeit wieder am oberen Tor am Gipfel des Berges standen. Der Rauch verflog rasch und zog sich zurück in den Tempel im Loch, dass der blaue Kreis hinterließ, verschwindend. Ganz langsam schlossen sich die Tore, während der engelsgleiche Chorus wieder zu hören war. Vor ihnen nichts als die Tiefe und einige Wolken, die sanft um den Berg herum strömten. Mit fragendem Blick schaute Marc zu Avraham herüber und wollte wissen, was das eben zu bedeuten hatte:
„Also ich verstehe jetzt, dass es Welten gibt, auch wenn ich nicht verstehe, was ich damit zu tun habe. Ebenfalls verstehe ich, dass es Magie gibt und das Orakel wohl einen hohen Rang hat. Aber was sind die Welten und was ist dieser Hohe Rat?“
Avraham zögerte einen Moment und überlegte, wie er das für ihn veranschaulichen könnte. Langsam drehte er sich zu Marc und zückte seinen Stab. „Das hier sind Zauberstäbe, sie leiten den Fluss der unkontrollierten freigesetzten Zauber. Damit kannst du präzise deine Kräfte einsetzen. Während du bei deinen Pflegeeltern unkontrolliert deine Kräfte eingesetzt hast, konntest du gegen Lumerus deine Kräfte bündeln und auf einen Punkt richten.“, erklärte er Marc. „War das der alte Mann aus dem Park?“, fragte Marc. Avraham antwortete: „Exakt, das war Lumerus, er wird übrigens dein Meister in Verteidigungs und Angriffslehre sein. Er hat an der Schlacht um das Portal der Verdammten teilgenommen und ist ein erfahrener Kämpfer. Aber lass mich dir zunächst die drei Welten erklären.“ Vorsichtig hielt er seinen Zauberstab an Marcs Schläfe. Mit den Worten „Ayolem inpaparuk dule“ sah Marc plötzlich klare Bilder zu der folgenden Erzählung:
„Du kommst eigentlich aus der Badria. Hier leben die Zauberer und die magischen Kreaturen. Gelebt hast du in der Zara, dem Paradies der Welten. Frei von den Verdammten und ohne schwere Bürde. Die Verdammten leben in der Kalam. Die Legende besagt, dass es am Anfang drei Welten gab. Diese Welten beherbergten die unterschiedlichsten Kreaturen. Die Götter mischten zu blutrünstigste Wesen auf den Welten, sodass alle im Chaos verfielen. Also beschlossen sie, die Welten zu ordnen in einer Geraden. Stelle dir meinen Gehstock vor! Oben ist die Zara, eine sichere und behütete Welt. Es gibt keine stärkeren Kreaturen als den Menschen. Nun schau nach unten auf den Stock! Hier ist die Kalam. Sie beherbergt alles Blutrünstige, den Kreig, die Gewalt und den Tod in seiner qualvollsten Form. Das Leben dort gleicht einer permanenten Schlacht. Nun schau in die Mitte! Hier sind wir in der Badria. Wir bilden eine Barriere zwischen der puren Verwüstung, dem Untergang und Chaos der Kalam und der harmonischen und friedlichen Zara. Gäbe es uns nicht, wären beide Welten verloren. Unsere Aufgabe besteht darin, das Gleichgewicht zu wahren und zu verhindern, dass die weltlichen Barrieren miteinander verknüpft werden. Sollte jemals die Kalam einen direkten Zugang zur Zara erhalten, so ist das jüngste Gericht eingeläutet. Das müssen wir verhindern. So haben es die Bewahrer gewünscht.“
„Die Bewahrer?“, fragte Marc. Schnell erwiderte Avraham: „Die Bewahrer sind unsere Schutzherren. Die Legende besagt, dass drei Götter drei Welten schufen. Eine unterschiedlicher als die andere. Um das Chaos zu verhindern, schafften sie vier übermächtige Wesen. Diesen Wesen teilten sie große Aufgaben zu. Die Zara erhielt den ewigen Hirten Darach, der es sich zur Aufgabe machte, das ewige Paradies vor dem Leid der anderen Welten zu behüten. In die lodernde Kalam musste ein striktes Regiment einkehren, so schickten sie den Kriegsherren Aidan dort hin. Mit Gewalt sorgte er schnell für Ruhe. Die Zwischenwelt Badria sollte die Barriere zwischen beiden bilden. Daher entsandten sie zu ihr Carney den Schutzherren, der als einziger die Macht hatte, anderen Kreaturen magische Kräfte zu verleihen. Zuletzt brauchten sie einen Bewahrer, der den Anfang und das Ende als Bürde auferlegt bekam. Der weise Chronos sollte der Hüter der Zeit werden. Ihm wurde somit die größte Macht verliehen, da er die Geburt des Neuen und den Tod des Alten im Gleichgewicht hielt. Das sind die vier Bewahrer und die Säulen der Welten. Doch mittlerweile gelten alle als verschwunden.“ Die Sonne begann sich zu senken über dem Tempel Orimino und die Wolken schimmerten lila im Abendrot. „Welche Rolle spielt der Hohe Rat für euch?“, fragte Marc. „Der Hohe Rat ist an die Stelle Carneys getreten. Er führt uns und entscheidet über Recht und Unrecht. Er legt diplomatische Schachzüge fest, bestimmt die Strafmaße und sorgt für das Gleichgewicht. Die größte Strafe die er einem Wesen auferlegen kann, ist die Verbannung in das ewige Grab in der Kalam. Eine Festung in der die Tortur und die Qual einem jeden Tag aufs Neue auferlegt werden.“, antwortete Avraham. „Aber wer gibt ihnen das Recht, Wesen zu verbannen und für die Ewigkeit zu foltern?“, stocherte Marc weiter. In einem entsetzten Tonfall entgegnete Avraham: „Den Hohen Rat in Frage zu stellen, ist nicht gestattet. Sie sind von den Göttern persönlich berufen und ohne sie gingen alle Welten unter! Du musst noch Einiges lernen, bevor du dir ein solches Urteil erlauben kannst! Aber zunächst verschwinden wir hier. Wir müssen in die Zara zurückkehren und deine körperliche Hülle in die Badria schaffen. Greif meinen Arm.“ Wenig verständnisvoll für Avrahams blindes Vertrauen in den Hohen Rat ergriff Marc seinen Unterarm. „Du wirst gleich in deine Hülle zurückfahren. Ich hingegen werde erst durch das Portal gehen müssen. Warte bitte im Park auf mich!“, sagte Avraham zu Marc in einem beruhigten Tonfall. Mit den Worten „Makijemaslam“ verschwanden beide von dem kleinen Vorplatz des Tempels. Anders als die Wächter hinterließen sie weder Rauch noch Nebel, sie waren einfach verschwunden.
Aufbruch und Abschied
Langsam kehrte Marc in seinen Körper zurück, unberührt lag er an der gleichen Stelle, an der er seinen Körper verlassen hatte, im Park. Den Boden schmeckend legte er seine Hand vor den Kopf. Er verspürte Schmerzen in der Brust, aber nicht die Schmerzen, die er erwartet hatte. Sie waren unangenehm und ungewohnt. Ganz langsam öffnete er die Augen und hustete. Der Bohn schien warm und nicht kalt, wie er ihn in Erinnerung hatte. Die Sonne schien ihm direkt auf den Rücken. Gemächlich stand er auf, sich abstützend am Boden und den Knien. Er rieb sich den Dreck aus dem Gesicht und von der Kleidung. Suchend blickte er durch den Park, geblendet von der Sonne. Avraham war jedoch nirgends zu sehen und auch nicht der alte Mann, der ihn auf die Reise schickte. Alles Erlebte kam ihm plötzlich wie ein Traum vor. Mit müdem Schritt näherte er sich der Parkbank, auf der er dem alten Mann das erste mal begegnete. Locker ließe er sich auf sie fallen und suchte weiter nach vertrauten Gesichtern. Aber nirgends war jemand zu sehen, der in dem scheinbaren Traum vorkam oder den er wirklich kannte. Nur einige Senioren schlichen durch den Park mit ihren Hunden.
Prolog
Am Anfang schufen die Götter drei Welten. Drei Welten, die weder zeitlich noch räumlich von einander getrennt waren. Eine Trennung erfolgte rein dimensional zum Schutz des Errichteten. Die erste geschaffene Welt war Zara die Morgendämmerung, die sie mit Wesen füllten, die zusammen in Harmonie zu leben hatten. Sie beherbergte die Tiere des Meeres, des Landes und der Lüfte. Das intelligente Leben bestand nur aus der Menschheit, sie waren die alleinigen Herrscher dieser Welt. Diese Welt sollte das Schöne beherbergen und den Frieden, sie war vollkommen. Die zweite Welt war eine Zwischenwelt, in der die Menschen nicht die einzige intelligente Lebensform darstellten. Hier schufen die Götter Wesen, die in der ersten Welt für Disharmonie gesorgt hätten. Sie schuf eine zusätzliche Barriere für die dritte Welt. Aber auch hier sollten die Wesen in Harmonie leben. Bestimmt zum Schutze der Zara, gaben sie ihr den Namen Badria, als ewiger Begleiter und Schützer. Die dritte Welt unterschied sich von der ersten und zweiten maßgeblich. Die dortige Erde war ein Ball aus Extremen und stellte für die dortigen Lebewesen eine permanente Qual dar. Während in manchen Ebenen das Gestein förmlich glühte, war es in anderen so kalt, dass einem der Atem gefror. Die dortigen Völker hatten um das Nötigste zu kämpfen, immer wieder kam es an Orten mit gemäßigtem Klima und Wasser zu Schlachten bis auf den Tod. In diese Welt sollten alle Wesen verbannt werden, die eine Gefahr in den anderen Welten darstellten. Sie erhielt den Namen Kalam, die brennende Fackel. Um die Zara vor alle dem zu schützen musste in der Badria aufgerüstet werden. So erhielten die den Menschen ähnlichsten Wesen die Fähigkeiten der Magie in Verbindung mit der Aufgabe für permanenten Schutz der Zara zu sorgen.
Die Götter bestimmten vier Bewahrer, die den Schutz zu garantieren hatten.
Aidan war der Bewahrer der höllischen Kalam und der Bewahrer der notwendigen Grenze, Darach der Bewahrer der Zara, in der er für Harmonie zu sorgen hatte und Carney der Bewahrer der Badria.
Der Letzte Bewahrer war Chronos - der Herr der Zeit. Er war unabhängig von allen Bewahrern und sorgte für das Gleichgewicht der Zeit in allen Welten. Er war der Beauftragte für den Erhalt des Anfangs und des Endes, ohne ihn gäbe es kein neues Leben aber auch keinen Tod. Er erhielt das wichtigste aller Naturgesetze in den Welten. Carney machte es sich zur Aufgabe die Zauberer der Badria zu unterrichten. Sie sollten sein Werk vollbringen, da die Lebenszeit der Bewahrer ungewiss war. Er musste für den nachhaltigen Schutz der Welten sorgen. Es bildeten sich einzelne Hochschulen für vier Bildungsrichtungen, die zusammen den Schutz garantierten.
Mittlerweile waren alle Bewahrer bis auf Chronos verschwunden. Nur Carney hatte für die Zukunft durch Portale zwischen den Welten vorgesorgt. Von der Zara führte ein Portal in die Badria, welche selbst ein Portal in die Kalam beherbergte, das jedoch verschlossen war. Es dauerte nicht lang, bis erste Konflikte entstanden. Eine zu beginn geringere Anzahl von Zauberern der Badria sahen es nicht länger ein, für eine andere Welt als Schutzherren zu fungieren. Sie selbst hatten immer wieder zahlreiche Opfer zu beklagen, wenn das Portal der Kalam sich öffnete. Sie mussten ihr Leben hergeben für das von Menschen, die nicht einmal von den Welten wussten. Menschen, die das Paradies mit Füßen traten und ihre Lebenszeit verschwendeten. So beschlossen sie, die Zara zu erobern. Alleine würden sie dies jedoch niemals schaffen, da die Zauberer der Badria und der Hohe Rat sie vernichtet hätten. So zogen sie sich in den Untergrund zurück, bildeten Armeen aus und schmiedeten Pläne. Doch auch die Armeen hätten nicht ausgereicht, um bis zur Zara vorzustoßen. Somit mussten sie sich mit den Kreaturen der Kalam verbünden. Jeden Monatsanfang öffnete sich das Portal für diplomatische Geschäfte und einige der Abtrünnigen schleusten sich als Diplomaten ein. Es formierten sich zwei Gruppen von unheimlicher Stärke, die nun das gesamte System zu Fall bringen drohten. Zunächst starten die Wesen der Kalam einen Angriff ihrer Seite auf die Wächter des Portals. Kurz darauf ertönte in der Badria die Sirene des Carney, wodurch ein Großteil der Hüter in die Schlacht zog, um auf der anderen Seite den Aufstand niederzuschlagen. Dadurch waren die Truppen der Badria in der Unterzahl und die Abtrünnigen konnten das Portal für sich gewinnen. Eingekesselt fielen tausende Zauberer zerrissen zwischen beiden Welten. Die Lopoden waren die Anführer der Wesen der Kalam und machten sich direkt mit den Abtrünnigen auf den Weg, den Hohen Rat zu stürzen. Auf ihrem Weg töten sie alle Zauberer, die sich ihnen nicht anschlossen. Wie ein Feuersturm wüteten sie in Dörfern und Städten. Auch vor Kindern und Frauen machten sie nicht halt. Am ersten Tag ihrer Reise verwüsteten sie bereits ganze Landstriche und hinterließen nichts als den Tod, Elend und Leid.
Der Hohe Rat musste die angreifenden Armee zurückschlagen. So beschlossen sie eine Waffe zu fertigen aus vier Reliquien. Den mächtigen Streitkolben des Kriegsherren Aidan, den Zauberstab des Schutzherren Carney, die Sense des Hirten Darach und die Sanduhr des Hüters der Zeit Chronos.
Kurz bevor die Truppen in den Tempel Dalavan einfallen konnten, schlug der Hohe Rat sie zurück. Beide Seiten hatten heftige Verluste hinzunehmen. In klarer Unterzahl musste sich der Hohe Rat gegen die Wesen der Kalam und die Abtrünnigen verteidigen. Sie schafften es, die Abtrünnigen niederzuschlagen und die Wesen zurück durch das Portal zu jagen. Erschöpft und teilweise verwundet kehrten die übrigen Mitglieder des Hohen Rats zurück in ihren Tempel. Dort zogen sie sich zurück in eine Befestigung in der Tiefe. Die Befestigung um das Portal zur Kalam wurde verbessert und die Diplomatie eingestellt. Das Portal gilt als uneinnehmbar und gleicht einer riesigen Feste. Bewacht von magischen Wesen und den besten Zauberern kam es zu keinen weiteren Angriffen auf das Portal. Doch weiterhin gab es Abtrünnige Zauberer die nur darauf warteten, eine neue Armee zu bilden. Sie lebten im Untergrund und agierten im Geheimen. Niemand wusste wer zu ihrem Bund gehörte und was genau ihr Plan war. Nur zwei Dinge standen fest. Sie wollten den Hohen Rat erneut versuchen zu stürzen, um Zugang zur Zara zu erhalten und es gab eine feste Rangordnung. Die Abtrünnigen wurden von drei Führern geleitet, doch wer diese waren, wusste niemand.
Das Haus in der Hermelinstraße 23
In einer kleinen Vorstadt vor Berlin saßen der fünfzehnjährige Marc Darwin und dessen Pflegefamilie die Mayers am Esstisch. Auf dem Tisch standen einige Brötchen, Beläge und Würste. Die Stimmung war bedrückt in dem Einfamilienhaus, denn Herr Mayer hatte eine Beförderung in einer großen Firma nicht annehmen können, da er dafür hätte umziehen müssen. Er sah es nicht ein, dass seine Familie nicht umziehen wollte, da sein Pflegesohn und sein leibliches Kind neue Freunde hätten finden können. Sein leiblicher Sohn war ein schüchterner und verwirrt wirkender Knabe. Er schlug sich auf die Seite seines Vaters, obwohl er die größten Schwierigkeiten gehabt hätte, neue Freunde zu finden und sich zu integrieren. Frau Mayer versuchte die Stimmung zu heben und begann mit ihrer Familie zu sprechen.
Frau Mayer fragte daher: „Marc, wie war es gestern bei deinem Freund Martin?
Marc antwortet leicht schmunzelnd: „Ganz in Ordnung, sein Vater hatte uns einen selbst gebrannten Schnaps probieren lassen.“
Frau Mayer war entsetzt und musste direkt nachhaken: „Er hat euch Alkohol gegeben?“
Marc wollte nicht, dass der Vater seines Freundes Ärger bekäme, schließlich war er immer nett zu ihnen und auch großzügig: „Ja, aber nur einen Schluck!“
Frau Mayer nahm ihm das jedoch nicht ab und bohrte weiter: „Wirklich nur einen?“
Marc fühlte sich bedrängt und antwortete hastig: „Ja, nur einen. Aber ich hätte auch mehr genommen.“
Herr Mayer merkte, dass sie ihn bedrängte und versuchte, schlau, wie er war, die Situation zu retten. Schließlich war er mit dem Vater des Jungens ebenfalls befreundet. Daher rief er in das nahezu verhörartige Gespräch hinein: „Das ist mein Junge!“
Seine Strategie ging auf. Sie ließ sofort von Marc ab und stürzte sich auf sein eher unangebrachtes Kommentar: „Ja, das gefällt dir, er wird genau wie du in deiner Jugend! Tagsüber ein fleißiger Kerl und Abends wird auf den Putz gehauen.“
Lachend lehnte er sich zurück, im Wissen, dass sein Plan funktioniert hatte und entgegnet ihr leicht spöttisch: „Früher hat dich das auch nicht gestört und wie du siehst, ist aus mir etwas geworden. Hätte ja sogar befördert werden können. Ins Management einsteigen können und die Gehaltserhöhung wäre auch nicht schlecht gewesen.“
Mit seiner Beförderung nervte er bereits eine Weile, daher schlug ihre Stimmung in Unlaune, weswegen sie in einem leicht erhitzen Tonfall ihren Mann zurück zu weisen versuchte: „Jetzt fang mir nicht schon wieder damit an, du weißt, dass du aktuell mehr als genug Geld verdienst. Uns geht es finanziell gut und wir haben genügend Rücklagen. Der Fond von deinem Cousin entwickelt sich zudem auch prächtig. Deine aktuelle Stelle macht dir doch auch Spaß. Schließlich bist du auch dort der Leiter eines Fachbereichs.“
Er blieb jedoch standhaft: „Das stimmt schon, aber dennoch hätte mir der neue Job ebenfalls zugesagt. Endlich bei den Großen mitmischen in der Firma. Wir kriegen immer den Unrat der Großen ab und meinst du die erreicht auch nur ein Hauch von Kritik?
Da meldete sich sein leiblicher Sohn Sebastian zu Wort, der seinen Vater als größtes Vorbild sah. Sei es, weil er noch recht jung war oder einfach einen sonderbareren Fall für sich darstellte: Nein Papa, die bekommt ihr immer ab. Ich war ja für den Umzug. Aber die beiden nicht.“
Sein Vater fühlte sich dadurch bestätigt und stichelte weiter: „Genau so sieht es aus!
Doch Marc war das alles Leid, weswegen er seinen Frust zum Ausdruck brachte: „Ganz ehrlich, die letzten drei Tage gibt es hier nur ein verdammtes Thema. Wir wissen, dass du hättest befördert werden können. Aber du hast abgelehnt. Netter Zug von dir und die Sache ist gegessen. Ich kann mir diese Vorwürfe nicht länger anhören. Ich esse in meinem Zimmer.“
Marc stand auf, schob seinen Stuhl an den Tisch und nahm einen Teller mit zwei Brötchen. Auf der Treppe stehend sprach sein Pflegevater zu ihm: „Trotzdem ärgert mich das weiterhin, auch wenn ich mich wiederhole. Guten Hunger da oben!“
In seinem Zimmer angekommen, legte er seinen Teller auf dem Schreibtisch ab. Beim Essen dachte er an seinen Geburtstag in zwei Tagen. Genüsslich biss er in sein Brötchen und schaute fern. Von dem Programm gelangweilt, vertiefte er seine Gedanken über den Geburtstag. Er hoffte, dass sich das endlich mit der Nörgelei seines Vaters legte. Nachäffend dachte er genervt über seinen Bruder nach: „Ich war ja für den Umzug.“ Seiner Meinung nach hätte er vielleicht in zwei Jahren wieder so viele Freunde, wie er es zu dem Zeitpunkt hatte. Außerdem müssten sie die Schule wechseln und das war das erste Schuljahr, in dem er Glück mit den Lehrern hatte. Es gab keine möchtegern Pädagogen, die meinten, sie wüssten alles über sie. Keine Lehrer, die ihnen auf dem Weg nach Hause folgten, in der Hoffnung, sie täten etwas „Verbotenes“, um dann bei deren Eltern zu glänzen.
Zudem wusste er, dass seine Pflegevater eins vergaß. Er war nie der geselligste Kerl und war dies noch immer nicht. Bis er nach seiner Beförderung wieder auch nur die Hälfte seiner aktuellen Beziehungen geknüpft hätte, ginge er in Rente. Aber die Hauptsache für ihn, schien wohl ein Beruf zu sein, der toll klinge und außer ein wenig mehr Geld und Unmengen an Überstunden nichts bereithielt.
In der Küche klirrte das Geschirr, denn der Tisch wurde abgeräumt. Herr Mayer saß frustriert mit einer Zeitschrift auf dem Wohnzimmersessel und Sebastian starrte aus dem Fenster in den Garten der Nachbarn. Seine Arme auf das Fensterbrett aus Marmor stützend, schaute er auf den Koiteich, doch sein Blickfeld störte etwas. Die Nachbarn hatten eine neue Hecke gepflanzt, weswegen er nur einen Teil des Teichs durch die Hecke betrachten konnte. Fluchend drehte er sich um und ging in die Richtung seines Zimmers im Obergeschoss. Marc und er hatten gerechte, gleichgroße Zimmer. Darauf hatten die Mayers beim Kauf des Hauses sehr geachtet, damit sich kein Kind unbeachtet oder bevorzugt fühlte.
Im Zimmer verschwunden und die Türe schließend, verließ Sebastian das Wohnzimmer. Herr Mayer stand auf und half seiner Frau mit dem Geschirr. Hilfsbereit stellte er sich an die Spülmaschine und räumte das, zuvor vom Gröbsten befreite, Geschirr ein. Angenehm ruhig fragte sie ihn: „Was ist jetzt eigentlich mit Marcs Geburtstag? Schenken wir ihm jetzt das Geld für den Führerschein oder doch etwas anderes?“
Er antwortete ihr in einem ebenfalls ruhigen Tonfall: „Wir waren uns doch einig, ich wollte morgen früh los und das Geld abheben.“
Sie zog zufrieden ihre Mundwinkel nach oben, aber dann sprach sie ihn auf die Diskussion am Tisch an. Rasant fielen ihre Mundwinkel wieder herunter: „Gut, dann wäre das geklärt. Aber bitte tue mir einen Gefallen.“
„Der wäre?“, fragte er neugierig.
Worauf sie versuchte, ihn mit der Sache zu konfrontieren ohne die Provokation eines weiteren Streits: „Unterlasse die Vorwürfe in seinem Beisein wegen deiner Beförderung. Du hast jetzt oft genug dein großes Opfer für die Familie aufgezeigt und ja, wir sind dir dankbar. Aber dennoch musst du uns das nicht jeden Tag vorhalten. Irgendwann reicht es auch mal wieder.“
Er war sich seiner Schuld unbewusst und entgegnete: „Aber es ist doch ärgerlich. Stell dir mal vor: wir vier, eine Kreuzfahrt, das Mittelmeer und leckere Cocktails beim Sonnenuntergang.“
„Ja, schön wäre es definitiv“, sagte sie und stellte einen Teller in das Regal, „aber meinst du wirklich, dass das dieses Opfer wert gewesen wäre?“
Er antwortete selbstsicher: „Natürlich, als ob ihr keine neuen Kontakte hättet knüpfen können. Außerdem wären wir nur fünfzig Kilometer weitergezogen. Ihr hättet auch eure alten Kontakte pflegen können.“
Mittlerweile war sie es Leid. „Stur wie ein Panzer!“, nannte sie ihn früher oft. Eigentlich hatte sich das wieder gegeben, doch nun war er wieder zu seinem alten Verhaltensmuster zurückgekehrt, weswegen sie plump erwiderte : „Hätte, hätte, würde, könnte – Ja, ja.“
Davon aufgebracht erhebte er seine Stimme: „Was soll das jetzt? Ich rede mit dir auch in einem normalen Tonfall oder? Ich finde es eben schade, die Chance nicht wahrzunehmen.“
„Das hast du oft genug zum Ausdruck gebracht. Es reicht mir!“, brüllte sie.
Ihm war es genug, leise grummelnd suchte er den Weg zur Tür: „Da schlagen wohl die Wechseljahre zu...“
Sie hatte die Aussage verstanden und war daher richtig wütend, laut protestierte sie: „Jetzt schieben wir es auf mein Alter, (sarkastisch) natürlich. Mein Alter ist daran Schuld, dass du herumnörgelst. Bei dir sind es vielleicht die Wechseljahre, bei mir aber nicht. Weißt du was? Setz' dich wieder in deinen Sessel und schau fern oder lies deine Zeitung! Aber lass mich jetzt einfach in Ruhe und sprich erst wieder mit mir, wenn du mit dieser verdammten Beförderung abgeschlossen hast!“
Genervt zog er ab und setzte sich in den Sessel. Beim Lesen zündete er sich eine Zigarre an, der Rauch umhüllte ihn wie ein leichter Schleier. Mehr und mehr versank er im Dunst und im Sessel. Seine Frau hingegen verließ das Haus, um mit dem Hund spazieren zu gehen. Freudig schloss sie die Tür hinter sich, da sie nun keine Vorwürfe zu ertragen hatte. Zudem hoffte sie, dass er sich, bis sie zurück war, beruhigt hatte. Nach einer Zigarre zeigte er sich meist einsichtig, weswegen sie der Rauch im Zimmer auch nicht störte.
Als sie zurückkam war es bereits dunkel draußen und Sebastian war sogar schon eingeschlafen. Von der Straße betrachtet, sah man in Marcs Zimmer noch den Fernseher laufen. Während sie hereintrat, fiel ihr jedoch auf, dass auch im Wohnzimmer das Licht schon aus war. Sie legte die Leine bei Seite und ging ins Obergeschoss. Dort fand sie ihren Mann im Arbeitszimmer. Mit einem Glas Whisky auf Eis saß er vor dem Laptop. Als sie an der Tür zum Zimmer vorbeilief und sagte, dass sie wieder zurück sei, brummte er nur.
Sie fragte ihn: „Ist deine Laune immer noch nicht besser?“
„Doch ein wenig und tut mir Leid, dass ich dich beleidigt habe.“, entgegnete er einsichtig und nahm einen Schluck aus dem Glas.
Zufrieden informierte sie ihn darüber, dass es schon in Ordnung sei. Sie gab sogar zu, sich im Ton vergriffen zu haben. Etwas, dass man von ihr nur selten hörte. Müde sprach sie weiter: „So lange wir die Diskussion nicht wieder führen müssen, bin ich glücklich – ich für meinen Teil gehe jetzt duschen und ins Bett.“
Vollkommen entspannt lehnte er sich weit in den Sessel und leerte das Glas. Nachdem er es abgestellt hatte, drehte er sich zu seiner Frau und versicherte: „In Ordnung, ich komme dann nach...“
Nach einer halben Stunde erloschen alle Lichter im Hause Mayer. Es kehrte absolute Ruhe ein. Aber das Haus wurde beobachtet. Auf der Straße stand ein Mann in einem langen Mantel. Er war komplett in Schwarz gekleidet und verschwand fast in der Dunkelheit der Nacht. Sein Blick konzentrierte sich auf das Zimmer von Marc Darwin. Wie erstarrt stand er Stunde um Stunde vor dem Haus und selbst der nächtliche Regenschauer hielt ihn nicht davon ab. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, zu weit ragte sein Hut hinunter, beschwert von den dicken Tropfen des Schauers. Gegen zwei Uhr wachte Sebastian auf und bemerkte den Mann vor dem Haus. Als er sich zum Fenster begeben hatte, war der Mann jedoch verschwunden und Sebastian legte sich leicht irritiert wieder schlafen.
Am nächsten morgen saßen alle am Frühstückstisch und bereiteten sich für ihren Arbeits- und Schultag vor. Herr Mayer saß im Anzug mit Krawatte am Tisch, Marc in legerer Kleidung, Sebastian im Hemd und Frau Mayer im Nachthemd vor ihrem Kreuzworträtsel, während ihr Mann in der Zeitung blätterte, erzählte Sebastian von seiner nächtlichen Sichtung, im Glaube es sei ein Traum gewesen.
Aufgeregt berichtete er: „Da stand er (mit dem Finger durch das Fenster auf die Straße deutend) und es regnete. Er trug nur schwarze Kleidung und war nicht zu erkennen und er trug einen albernen Hut mit weiter Krempe und der hat sich nicht bewegt und...“
„Ja, du bist unser kleiner Modepapst in deinem Hemd.“, spottete Marc lachend.
Doch an seinem Selbstbewusstsein kratzte das nicht, er erwiderte flink:
„Ich orientiere mich eben an unserem Vater.“
Doch da musste selbst sein Vater lachen und drehte sich zu ihm hin: „Ganz toll, nur darfst du nicht vergessen, dass du nicht berufstätig bist. So bequem finde ich den Anzug wirklich nicht und vor allem nicht die Krawatte. Jeden Abend bin ich froh, wenn mein Hals endlich wieder unbedeckt ist“
„Bei dem hässlichen Ding ist das auch kein Wunder, Schatz. Dieses Muster ist abscheulich! Außerdem hast du auch viel schönere Teile, aber heute musste es scheinbar diese sein, nicht wahr?“, stichelte seine Frau und kicherte dabei, während sie sich ein wenig Saft einschenkte.
„Wenn du meinst, mir gefällt das Muster.“, antwortete er genervt, „Die ist doch schön und es hat nicht jeder.“
Laut begann sie zu lachen und rief: „Will eben auch keiner!“
Da überkam es sogar Sebastian und er musste schmunzeln. Marc hingegen lachte bereits die ganze Zeit. Für ihn war es ein guter morgen. Gelächter anstatt Streitereien waren ihm eine angenehme Abwechslung.
Herr Mayer schaute auf die Uhr, griff nach seinem Aktenkoffer und wandte in Eile das Wort an seine Familie: „Wenn ihr meint, ich fahre dann mal los und euch noch einen schönen Tag! Mir gefällt sie und ich muss mit ihr herumlaufen!“
Als ihre Söhne und ihr Mann das Haus verlassen hatten, räumte sie den Tisch ab und machte sich fertig. Sie musste noch einige Erledigungen treffen, bevor ihre Söhne wieder zurück waren. Schließlich waren darunter Kleinigkeiten für Marcs Geburtstag, wie die Karte und einige Kleidungsstücke.
Auf dem Weg zu ihrem silbernen Familienwagen, öffnete sie den Briefkasten mit einem Stapel von Briefen und Reklame. Als sie die Zeitung aus dem Rohr holte, schnitt sie sich am Finger. Eilig ging sie zum Auto, die Türe schließend, nahm sie ein Taschentuch mit dem sie ihre kleine Wunde versorgte. Kurz darauf betrachtete sie die Adressaten auf der Post. Einige Briefe waren bereits für den sechzehnten Geburtstag. Darunter auch ein Brief mit goldenem Schriftzug und einem Wappen auf der Rückseite. Das Wappen bestand aus drei waagerecht angeordneten Kreisen. Den Kern bildete eine Sanduhr im Inneren des ersten Kreises, darüber ein rotes Auge. Der rechte Ring war rot und der linke grün. Mühsam verziert bildeten sie ein faustgroßes Wappen. Da sie aber zeitig fertig sein musste, packte sie den Brief eilig zu den anderen Geburtstagskarten und fuhr los.
Am Abend saßen wieder alle zusammen. Herr und Frau Mayer hatten ihre Besorgungen erledigt und genossen die Ruhe an diesem Abend. Zur Abwechslung gab es keine Streitigkeiten oder Vorwürfe. Ein harmonisches Bild bot sich an diesem Abend. In der Nacht gingen erneut die Lichter aus. Marc erwartete sehnsüchtig seinen Geburtstag. Im Bett liegend und dem Laptop auf dem Bauch, mit seinen Freunden schreibend, döste er langsam ein.
Doch auch in dieser Nacht stand ein Mann auf der Straße. Jedoch wartete er dieses mal direkt im Garten des Hauses. Es scheint ein anderer Mann zu sein, da er weit größer und breiter erschien als der Mann der letzten Nacht. Als eine Katze um das Haus schlich, gegen der Bewegungsmelder und dadurch das Licht an. Das Gesicht des Mannes wurde bestrahlt. Er war alt und sein grauer Bart reichte bis zur Brust. Dennoch wirkte er gepflegt. Um den Hals trug er eine lange Kette, mit einem in Gold gefassten Edelstein. Die Kette war so lang, dass sie sogar unter dem Bart deutlich sichtbar hervorragte. In der Hand hielt er einen edlen Stock aus dunklem Holz. Der Griff war aus Silber und von seiner großen Hand fast komplett bedeckt.
Erst bei der Morgendämmerung verschwand er plötzlich. In einem leichten und geruchlosem Nebel aus Rauch. Fast die gleiche Art von Rauch, die auch entstand, wenn Herr Mayer seine Zigarre geraucht hatte. Eine unheimliche Stille kam über die ganze Straße und das Licht ging aus, während die Sonne langsam über den Häusern hervortrat.
Als Marc aufwachte war es bereits hell. Die Vögel zwitscherten und die Ruhe war den Geräuschen von Autos und regem Treiben gewichen. Treiben auf den Straßen und im Haus selbst. Fröhlich stieg der nun Sechzehnjährige aus dem Bett, trat aus der Türe und ging vorbei am zimmer seines Bruders. Noch leicht vom Schlaf ergriffen, wanderte er langsam die Treppe hinunter. Irgendetwas war anders. Er fühlte ein Kribbeln in den Fingerspitzen, als hätte er die Nacht auf ihnen gelegen, wodurch diese eingeschlafen wären. Sich am weißen Treppengeländer stützend, ging er Stufe für Stufe die Treppe aus dunklem Holz herunter. Die Tür zum Esszimmer im Blick.
Ein leichter Duft von Kaffee und Pfannkuchen lag in der Luft. Er hörte das sanfte klirren von Geschirr und klassische Musik im Hintergrund. Auch wenn er kein wirklicher Sympathisant von Klassik war, genoss er die Melodie. Sie war sehr angenehm, unbewusst passte er seinen Gang dem klaren Takt der Musik an und schritt zur Tür. Als er sie öffnete, sah er seine Eltern und Sebastian bereits am Esstisch sitzen. Sie unterhielten sich und bemerkten nicht, dass er bereits anwesend war. Als Marc zur Seite blickte sah er einige Pakete und Karten auf der Kommode stehen. Liebevoll und gut verpackt zu einem Haufen angeordnet. Als die Tür zufiel, bemerkten ihn seine Pflegeeltern. Rasch standen sie auf, um ihm zu gratulieren. Aber das seltsame Gefühl in ihm ließ ihn alles in einer Art Trance wahrnehmen. Die Umarmungen kaum wahrnehmend, bedankte er sich für jegliche Glückwünsche und suchte die Nähe zum nächsten Stuhl. Endlich sitzend brachen seine Pflegeeltern zu ihm.
Frau Mayer fragte besorgt: „Marc?“
Selbst Sebastian schien sich Sorgen zu machen: „Marc?“
Er wirkte ruhig und in sich gekehrt. In seinem Kopf hingegen war alles in einem leichten Dunst, als sei er krank, erschöpft und völlig entkräftet.
Sein Pflegevater drehte seinen Kopf zu ihm und fragte recht besorgt klingend: „Marc ist wirklich alles in Ordnung?“
Langsam legte sich die Trance und er kam mehr und mehr zu sich.
Er entgegnete seinen Eltern: „Ja, alles bestens. Ich bin nur noch etwas müde.“
Leichtgläubig und erheitert sprach sein Pflegevater: „Na dann ist es ja gut, wir wollen doch an unserem großen Tag auch nicht krank sein, oder? Schließlich wird man nur einmal Sechzehn.“
Sebastian mischte sich neunmalklug in das Gespräch ein: „Ja und auch nur einmal elf, zwölf, dreizehn...“
Frau Mayer mochte diese Wesensart ihres Sohnes überhaupt nicht, daher wirkte sie leicht angesäuert als sie sagte: „Klasse Leistung Sebastian, fühlen wir uns nun besser? Wo du nun sogar deinen Vater verbessern kannst?“
Sebastian verstummte und zog sich aus dem Gespräch zurück.
Wohlwollend bat Herr Mayer Marc: „Lang zu (auf das Frühstück deutend)! Noch ist alles warm und ich habe eben schon einen Pfannkuchen probiert. Danach bist du bestimmt wach, die sind vortrefflich!“
Frau Mayer nahm seinen Teller und beruht ihm ein Paar auf den Teller. Ihm den Teller reichend, fragte sie: „Willst du deine Geschenke noch nicht aufmachen? Früher war das immer das erste, was du gemacht hast.“
Herr Mayer bemerkte, dass er noch nicht ganz fit war und unterbrach daher seine Frau: „Lass den Jungen doch zunächst essen. Du siehst doch, dass er was zwischen die Kiemen braucht. Wer nichts ist, kann nichts leisten.
Marc war immer noch in einer leichten Trance, weswegen er recht leise murmelte: „Ich esse jetzt erst auf und dann schaue ich nach, was es so gibt.“
Herr Mayer wirkte stolz und deutete auf die Karte: „Schau als letztes in die Karte, da findest du dein Hauptgeschenk. Eventuell wäre mehr drin gewesen, wäre ich befördert worden.“
Marc und Frau Mayer rollten mit den Augen. Erbost starrte sie ihn an.
In der erbostem Tonfall sagte sie: „Das Thema hatten wir doch erst, musste das jetzt sein?“
Er blickte unschuldig: „Ja, es ärgert mich eben trotzdem.“
Sie trieb das zur Weißglut, hatte sie doch nur einen Wunsch und selbst der war ihr vergönnt: „Das wirst du dich auch noch eine Weile. Aber das müssen wir jetzt nicht wieder ausdiskutieren!“
Wütend schob er seinen Teller zurück, drückte seinen Stuhl nach hinten und stand auf: „Meckere nicht direkt! Ich weiß, dass ich das Thema lassen soll. Aber eben hatte ich es kurz vergessen. Tut mir Leid, aber es wurmt mich nun mal. Ein wenig Verständnis wäre eher angebracht!“
Marc war von dem Streitgespräch immer mehr und mehr genervt. Er umschlang die Gabel mit seiner rechten Hand und seine Adern traten hervor.
Vor Wut platzend brüllte sie: „Warum kannst du es nicht wenigstens heute unterlassen. Aber Nein, Missieu muss sein Opfer immer und immer wieder bestätigt wissen. Das ist doch armselig! Früher hättest du dich anders verhalten!“
Beleidigt drehte er sich von den Tisch weg: „Wenn du meinst, dass meine Wenigkeit hier für negative Stimmung sorgt, dann gehe ich eben. Ich bin dann in meinem Arbeitszimmer, wenn ihr mich sucht!“
Marc hatte es gereicht, wütend erhob er seine Stimme: „Jetzt seid verdammt nochmal beide still! Immer diese sinnlosen Diskussionen über ein und das selbe Thema! Hört auf damit!“
Während er brüllte hielt er die Gabel weiterhin fest in der Hand. Die Gläser beginnen zu vibrieren, die Lampen im Esszimmer zu flackern und Kälte verbreitete sich im gesamten Raum. Die Vögel verstummten, der Plattenspieler ging aus und die Kerzen seiner Geburtstagstorte in der Küche erloschen. Nachdem er seine Wut und Enttäuschung zum Ausdruck gebracht hatte, war es still. Die Gläser hörten auf zu vibrieren, wie auch das Licht aufhörte zu flackern. Nur die Musik und das Zwitschern der Vögel wichen einer absoluten Stille. Die Zeit schien für einen Moment still zu stehen. Langsam ließ Marc die Gabel los, seine Adern wurden weniger sichtbar und die vorherige Röte in den Gesichtern der Eltern wich einer Blässe. Ruhig setzten sich die Eltern wieder an den Tisch. Sie wirkten schuldbewusst. Die merkwürdigen Ereignisse schienen sie nicht bemerkt zu haben, obwohl weiterhin keine Musik zu hören war. Ruhig beendeten sie das Frühstück. Sebastian hatte bereits den Tisch verlassen und war in sein Zimmer gegangen. Marc verließ kurz darauf ebenfalls den Tisch, griff sein Geschirr und legte es in die Spülmaschine. Während er seine Gabel in die Spülmaschine zurücklegte, stellte er fest, dass sich auf ihr dunkle silberne Verfärbungen gebildet hatten. Genau an der Stelle, wo vorher seine Hand gewesen ist. Besorgt schaute er in seine Hand, doch sie war weder verfärbt, noch anderweitig schmutzig. Irritiert verließ er die Küche und ging hinauf ins ein Zimmer. Er holte seine Jacke und seine Schuhe, zog sie an und verließ das Haus.
Erst am Mittag wollte er wieder zum Essen zurück sein, nun brauchte er Luft. Deshalb ging in den Park zwei Straßen weiter. Er mochte die Ruhe und die Natur an sich. Hier war allein, es nörgelt niemand, es gab keine Streitigkeiten und auch nerviger Bruder war weit entfernt. Als er ein paar Runden im Park gegangen war, setzte er sich auf einer Parkbank. Er betrachtete gern die anderen Leute im Park. Nicht weil sie belauschen wollte, sondern weil es interessant fand, was sie so trieben, wie sie sich kleideten und wie sich verhielten.
Während er auf der Parkbank saß, sah er einen alten Mann mit Hut. „Gebildet sieht er aus“, dachte sich Marc. „Sein Gehstock wirkt recht hochwertig, der muss eine gute Stange Geld gekostet haben.“, fuhr er fort. Durch seinen Vater kannte er sich ein wenig mit Hölzern aus. Schließlich war dies dessen Beruf. Einen schwarzen Stock mit einem goldenen Griff nutzte er, um sich abzustützen. Ruhig lief er am Parkufer entlang. Marc betrachtete seinen langen schwarzen Mantel, zu dem er einen Hut trug, der ebenfalls schwarz war. Die lange Krempe des Huts ragte tief in sein Gesicht hinein, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Dennoch wirkte er nicht düster oder dunkel, auch wenn der tiefschwarze Mantel etwas anderes vermittelte. Dazu genoss er viel zu sehr die Natur um sich herum. Langsam näherte sich der alte Mann Marcs Parkbank. Ruhig schritt er zur Bank und fragte, ob denn noch ein Platz frei wäre.
Mag erwiderte höflich: „Natürlich, setzen Sie sich!“
Der alte Mann war sichtlich froh darüber, sich setzen zu dürfen. Aus der Nähe betrachtet, konnte Marc nun endlich den Griff seines Stocks bestaunen. Es war der goldenen Kopf eines Drachens, dessen Augen aus roten Rubinen bestanden. Für Marc wirkte das eher kitschig, aber dennoch faszinierte ihn dieser Stock. Er war so filigran, liebevoll gearbeitet und die Maserung, des dunklen Holzes, war deutlich zu erkennen. Tief schnaufend packte er seinen Hut in den Mantel und holte eine silberne Taschenuhr hervor. Marc wollte nicht zu neugierig wirken und schaute nur ganz kurz auf sie. Auffallend war die Vorderseite, verziert durch ein kleines Symbol, aber er konnte in der kurzen Zeit nicht genau sehen, was es darstellte. Es war einfach nur da.
Nun konnte er auch sein Gesicht sehen. Es war deutlich von Unruhen gezeichnet. Eine tiefe Narbe ragte bis zu seinem Auge, welches von verbrannter Haut umgeben schien. Am Hals waren drei parallele Narben die ihm bis unter den Mantel folgten. Trotz des Barts sah man, wie gezeichnet er vom Leben sein musste. Immer wieder schnaufte der alte Mann tief und ließ seinen Blick über den Park streifen, als suche er nach jemandem. Höflich und zurückhaltend fragte Marc: „Auf wen warten Sie?“
Der Mann schmunzelte nur und antwortete in ruhiger Stimme: „Wen ich suche? Das wird sich heute zeigen. Es ist ein junger Mann mit Fähigkeiten dem Großes bevorsteht. Kennst du eine solche Person?“
Marc irritiert: „Nicht dass ich wüsste. Suchen sie jemanden für Ihre Firma?“
Schmunzelnd fuhr sich der alte Mann durch den Bart, langsam glitten seine Hände durch die gepflegten grauen Haare, während er nach einer Phiole griff. Einen tiefen Schluck nehmend drehte er seinen Blick zu Marc und sagte erheitert: „Von einer Berufung kann man da schon sprechen. Nur hat sie weit weniger mit einem einfachen Job zu tun, als mit einer Lebensaufgabe. Der, den ich suche, wird ein neues Weltbild erfahren.“
Marcs Augen blickten ihn suspekt an und er wandte seinen Kopf von ihm ab.
Marc Darwin, ich bin der festen Überzeugung du kennst den Knaben, den ich suche. „Er war es, der heute sechzehn wurde und bereits von seinen Fähigkeiten gebrauchte ohne es zu merken.“, flüsterte der alte Mann leise.
Nervös wandte er seinen Blick zu ihm zurück und entgegnete: „Sie kennen meinen Namen und sprechen von mir, was wollen Sie von mir?“
Aus seinem Mantel kramte er einen hellen Stab hervor, ebenfalls aus Holz aber weit weniger edel als der Gehstock des Alten. „Ich möchte, dass du diesen Stab nimmst, halte ihn fest und folge meinen Anweisungen!“, bat er Marc. Doch er wies den Stab zurück, stand von der Bank auf und schimpfte: „Ich weiß nicht, was Sie von mir möchten, aber ich habe keinerlei Interesse. Bitte lassen Sie mich in Ruhe.“
„Das kann ich nicht Marc, mein Auftrag ist auszuführen und es gibt für dich kein zurück.“, erwiderte er ruhig.
Marc begann sich von dem alten Mann zu entfernen. Mit kraftvoller Stimme richtete er sein Wort an Marc: „Dein Schicksal liegt nicht hier, du gehörst nicht in die Zara. Das gehörtest du nie und du wirst es auch nie gehören. Du bist ein Waise!“
Immer weiter und schnellen Schrittes lief Marc durch den Wald vorbei an Bäumen, abgeschalteten Laternen, Parkbänken und bog um eine Ecke. Im gesamten Park schien keine weitere Person zu sein. Doch als er um die Ecke bog, stand der alte Mann direkt vor ihm mit gezücktem Gehstock. Mit packender Stimme sagte er: „Dein Weglaufen bringt nichts, nimm den Stab und richte ihn auf mich. Du wirst sehen!“
Marc drehte sich um und ging in die nächste Richtung. „Du wirst sehen, sehen wirst du, hast du gehört!“, wiederholte der alte Mann. An der nächsten Ecke abbiegend stand bereits erneut der alte Mann vor ihm. Doch diesmal packte er ihn an der Schulter. „Mein Freund, sagte ich nicht, dass Weglaufen nichts bringt.“, sprach er lachend und drückte ihm den Stab in die Hand. Marc jedoch rief: „Nun lassen Sie mich schon in Ruhe!“
„Richte den Stab auf mich und alles wird sich dir offenbaren!“, predigte er.
Doch Marc begann zu rennen, erneut in die Arme des Mannes und wieder lief los und wieder gelang er direkt in dessen Arme. Er schien allgegenwärtig zu sein. Marcs Nervosität steigerte sich in Wut und Angst. Fest griff er um den Stab, entriss sich erneut seinen Armen und lief davon. Doch auch der nächste Ausweg war ihm nicht vergönnt. Wieder stand der Mann vor ihm. Der Wind schien zuzunehmen und der wolkenlose Himmel wich grauen Wolken. Das Laub wirbelte durch den Wind davon und der kalte Schweiß lief über Marc Gesicht. Immer mehr steigerte sich seine Angst in Verzweiflung, immer kälter schien es zu werden. Der alte Mann lachte ihn permanent aus und spottete: „Nimm den Stab! Richte ihn auf mich! Lass deiner Wut freien Lauf mein Freund!“ Doch er ersuchte weiterhin die Fluchtmöglichkeiten, deren Zweck von Beginn an unerfüllbar schien. „Trau dich, nutze den Stab, du wirst sehen!“, befahl der alte Mann. Wütend ergriff er letztendlich den Starb und warf ihn gegen den Kopf des alten Mannes. Erneut ergriff er die Flucht doch sein Lachen schien überall. „Nutze ihn nicht so subtil, lass deinen Emotionen, deinem Hass freien Lauf! Schau in deine Tasche, du hast einen neuen Stab!“, wisperte es in Marcs Ohren. Tatsächlich war der Stab zurück in seine Tasche gekehrt. Voller Wut, Hass und Verzweiflung griff er schreiend nach dem Stab, wandte sich zu dem alten Mann und richtete den Stab direkt auf ihn.
„Sehr gut mein Freund, erfahre die Macht der Bewahrer!“, befahl er. Seinen Gehstock mit der Spitze auf den Boden richtend, zog auch er einen Stab aus ihm heraus.
Der Wind peitschte immer heftiger um beide herum, während sich Marcs Hände immer kälter anfühlten und sein Stab begann zu leuchten. „Konzentriere deine Energie auf einen zentralen Punkt. Einen Punkt auf oder in mir! Du wirst sehen!“, rief er laut zu Marc. Fest entschlossen konzentrierte sich Marc auf dessen Herz. Langsam begann sich eine lila farbiger Schleier um die Spitze des Stabs zu bilden. Immer heller wurde das Licht, dass sich an der Spitze sammelte. Der alte Mann erhob seinen Stab und hielt ihn in Marcs Richtung. Sichtbar geblendet von dem gleißenden Licht zielte er jedoch nur auf Marcs Hand. Marc fühlte, wie seine Wut von ihm ging und einem Gefühl der Ruhe wich. Umso mehr die Wut von ihm abließ, desto heller schien das Licht. Bis letztendlich keine Wut mehr zu spüren war und ein heller Strahl auf den alten Mann zuraste. In einer flüssigen Bewegung fing er den Strahl mit seinem Stab ab und richtete die gefangene Energie in den Himmel. Sofort beruhigte sich der Wind. Völlige Ruhe kehrte ein während Marc langsam zu Boden sank und auf seinen Knien landete. Die Finsternis um sie herum löste sich in Sonnenschein auf. Sogar die Vögel waren wieder zu hören. Marc blickte fassungslos auf den Stab und legte ihn behutsam auf den Boden, seinen Blick auf den alten Mann richtend, der mit entschlossenem Schritt auf ihn zu kam. Wahrlich, du bist also der Waise der Zara. Der erste Waise seiner Art, ohne das Wissen über seine Gaben, Berufung und Herkunft. Der Heimatlose wird zurückkehren, wie es von mir verlangt wurde.“, erzählte er ihm kniend und verschwand in einer Säule aus Rauch. Der Stab vor Marc war ebenfalls verschwunden. Eine solche Erschöpfung fühlte er noch nie, langsam senkte er seinen Kopf auf den kühlen Boden des Parks. Immer tiefer sanken seine Augenlider und er schlief ein. Den kalten Boden schien er nicht zu bemerken und immer tiefer versank er im Schlaf. Regungslos dort liegend, liefen Personen an ihm vorbei, doch sahen sie ihn nicht. Er war für ihre Augen nicht sichtbar. Er hingegen begann zu träumen, von oben herab blickte er auf weiße Quellwolken und glitt langsam durch sie hindurch. Wie ein Vogel bahnt er sich den Weg durch die angenehme Nässe der Wolken, ohne seinen Flug kontrollieren zu können. Als er sie durchquert hatte, bot sich ihm eine wunderschöne Aussicht auf Gebirge, Täler und Wälder. Eine völlig unberührte Natur, die er so noch nie gesehen hatte. Vögel streiften seinen Weg und er konnte sie singen hören während er Kurz auf das Gebirge nahm. Berge höher als alles je Gesehene und Wasserfälle deren Getöse kilometerweit zu hören war. Der Duft von allen möglichen Pflanzen lag in der Luft. Eine Luft reiner als die im Park. Über das Wasser eines Flusses zog es ihn und vorbei an Schluchten und winzigen Ufern. Sinnlos und doch wunderschön schien dieser Traum, er hatte keinen Bezug zum Geschehenen, er dachte, das sei der Himmel. Doch der Fluss führte ihn direkt zu einem wunderschön anmutenden Wasserfall, der von einem riesigen Berg hinunter prasselte in den Fluss der so voller Leben schien. Das Wasser war so klar und rein, dass er die Fische beobachten konnte. Sein Blick schien in den Wasserfall eintauchen zu wollen, jedoch stieg er hundert Meter vor ihm plötzlich in die Höhe. Immer näher wanderte an den Berg und folgte dessen Steigung. Nach oben blickend sah er nur Gestein und fühlte eine angenehme Wärme in seiner Brust. Langsam verblasste das rauschen der Wasserfälle im Hintergrund und wich einem engelsgleichen Chorus. Während er die Spitze des Berges erreichte. Völlig überwältigt sah er einen riesigen Tempel am Gipfel, mit Säulen aus Marmor und einem Dach an dem die Wolken vorbeistriffen. Immer näher kam er zu dem Tempel und die Wärme in seiner Brust wurde immer stärker. Keine unangenehme Wärme empfand sie, es war das schönste Gefühl, dass er je spürte. Jegliche Last und Gedanken fielen von ihm ab, völlig auf den Tempel fixierend. Der Chorus klang immer klarer und wie in Trance bildete sich ein Dichter Nabel um ihn herum. Langsam sank er vor dem Eingang herab und als der Nebel sich legte, konnte er seine Hände sehen. Langsam ballte er seine Fäuste und entspannte sie wieder. Er war wieder in der Lage sich zu bewegen. Das Tor des Tempels war verschlossen und das Stück Land, auf dem er stand, führte nur in die Richtung des Tores. Die riesige Tür aus dunklem Holz und Metall wirkte beeindruckend, ein ganzes Haus hätte dort hindurchgleiten können. Zu den Seiten schauend, erblickte er Nichts als den Abgrund und die Säulen des Tempels verziert mit für ihn unbekannten Schriftzügen. Der Boden auf dem er stand, war ebenso aus Marmor wie diese. Der Wind rauschte angenehm über ihn hinweg und der Chorusklang nahm an Intensität weiter zu. Jedoch war der Klang nicht einer Quelle zuzuordnen. Von jeder Richtung war die Intensität die gleiche. Langsam erhob sich die Sonne hinter Marc, beschien das Tor und das Metall begann zu schimmern in den unterschiedlichsten Farbtönen.
Für ihn war klar, das Tor musste das Ziel der gesamten Reise sein. Der alte Mann hatte recht, er würde sehen.
Der Tempel Orimino
Das Tor, vor dem Marc stand, begann zu rattern und klappern. Es klang, als würden hunderte Schlösser und Zahnräder in Bewegung kommen. Der Klang war so massiv, dass er den Chorus fast komplett verdrängte. Wie erstarrt stand Marc auf dem marmorierten Platz vor dem Tor, während es sich langsam aufzutun schien. Ein leichter Spalt zwischen den Toren bildete sich, durch den ein helles Licht auf Marc fiel. Völlig geblendet hielt er seine Hand vor die Augen und bemerkte das mächtige Getöse, dass das Öffnen der Tür verursachte. Nur langsam konnte Marc die Hand senken und blickte auf einen langgezogenen Schatten, der sich aus dem Licht hervortat. Menschenähnlich bewegte sich der Schatten auf ihn zu, während die riesigen Türen des Tors weiterhin aufgingen. Erst als sie auf die Säulen stießen verschwand das helle Licht. Marc konnte einen Mann mit Bart erkennen in einer Art Tunika. Zunächst dachte er an den Mann aus dem Park, jedoch war diese Person weit größer und hatte keine Narbe im Gesicht. Plötzlich blieb die Person in der großen Halle des Tempels stehen und breitete seine Arme aus. In der linken Hand ein Amulett tragend und in der rechten einen alten Holzstock. Der Chorus verstummte schlagartig, als er rief: „Da bist du nun endlich, nach sechzehn Jahren der Unwissenheit über deine Existenz. Groß bist du geworden und nun hast du auch deine Reife erhalten, um eingeweiht zu werden. Tritt ein in die Halle der großen Gefallenen! Tritt ein in den Tempel der Orminio!“
Schüchtern, einen Fuß vor den Anderen setzend, bewegte sich Marc hinein in den Tempel. Als er das Tor passierte überwältigten ihn die Statuen, die in einem Kreis angeordnet waren und sich über die Innenwände des gesamten Tempels erstreckten. Weit höher als jeder Haus in der Straße und aus reinstem Marmor. Alle trugen sie eine Waffe, aber nicht die gleichen. Jede Statue hatte eine eigene Waffe und warf ihren Blick in das Zentrum des Raums. Beim Mann angekommen sprach dieser zu ihm in ruhiger und angenehmer Stimme: „Mein Name ist Avraham und was du hier so bestaunt betrachtest, sind die größten Zauberer, die die Bewahrer hervorbrachten. Vielleicht wirst auch du dir einen Platz an ihrer Seite sichern, denn das ist die größte Ehre, die uns jemals erfahren kann.“
Marc blickte skeptisch und fragte: „Wo sind wir hier, bin ich gestorben?“
Der Mann senkte die Arme und erwiderte mitfühlend: „Nein mein Lieber, du bist nicht verstorben, wenn wir fertig sind, wirst du wieder in deinen Körper in der Zara zurückfinden. Aber vorher müssen wir noch einiges erledigen.“
„Was ist eine Zara?“, fragte Marc.
„Es ist nicht eine Zara, sondern es ist die Zara. Deine Welt und du bist gerade im Reich der Bewahrer. Hier hat alles begonnen, hier tagt der hohe Rat und hier wird auch alles enden. Anfang und Ende sind hier vereint. Dies ist ein heiliger Ort.“, antwortete der Mann, „Mein Name ist übrigens Avraham, deinen Namen kenne ich bereits. Ich bin der Aufgabe zugeteilt, dich in alles einzuweisen und später einer deiner Meister zu werden.“
„Meister?“, fragte Marc verdutzt.
Avraham fuhr fort: „Dazu werden wir später kommen!“ Zunächst einmal schließen wir das Tor, denn wir wollen nicht, dass uns heute jemand anderes besuchen kommt.
Den Stock auf dem Boden auflegend Nimores deresk!“
Langsam schlossen sich die Tore und Avraham griff nach Marcs Arm. „Folge mir, ich zeige dir nun alles!“, bat er Marc. Langsam schritten sie zum Zentrum der Halle, auf dem Boden fanden sich Runen, Zeichnungen und Fugen, die ein riesiges Muster ergaben. Im Zentrum war ein blauer Kreis aus Stein, als sie dort standen, stellte Avraham erneut seinen Stock auf den Boden. „Innokem incenset!“, sprach Avraham und die runde Fläche begann sich zu senken. Beide fuhren hinab in einen zylindrischen Tunnel, der in völliger Dunkelheit lag. Erst nachdem Avraham etwas unverständlich in seinen Bart murmelte, erhellte sich der Raum. Tausende Augen von Statuen, welche in einzelnen Rängen aufgestellt waren, lieferten das Licht. Es war taghell in dem riesigen Raum und sie sanken immer weiter hinunter. Allmählich näherten sie sich einer Bodenfläche. Marc wollte schon vom blauen Kreis springen, doch Avraham hielt ihn zurück und sagte: „Wir müssen noch weiter in den Berg hinabfahren in die Hallen des Sehens und Wissens. Dort wirst du deine Antworten finden und noch einiges mehr.“
Nickend stellte sich Marc wieder an dessen Seite. Immer tiefer versanken sie Im Berg. Mittlerweile hörte Marc ein tiefes Schnaufen, dass von unten zu kommen schien. Fragend blickte er zu Avraham: „Was ist das für ein Schniefen dort unten?“
„Das ist Moresmeg der Hüter und Schützer.“, antwortete er.
Marc stocherte weiter: „Was behütet er denn und wie groß ist er.“
„Er ist das größte Wesen der Zara und auch das stärkste. Was er behütet, wissen nur die Auserwählten des Hohen Rats und der hohe Rat selbst. Manche sagen, er bewache ein Portal und andere sagen, er behüte einen Schatz, den größten aller Welten.“, antwortete er. Während der blaue Kreis immer tiefer hinabfuhr und es langsam kühler wurde. Marc fror in seinem weißen kurzärmligen Shirt langsam während Avraham in seiner Tunika keine Kälte verspüren zu schien. Jedoch merkte Avraham, dass Marc sogar zu zittern begann und Griff mit der linken Hand an das Ende seines Stocks, dass er bereits mit der anderen Hand festhielt und munterte Marc auf: „Kälter wird es nicht werden, wo wir hinabfahren ist es bei weitem wärmer, auch wenn wir uns in einer Halle aus Eis aufhalten werden.“ „In einer Halle aus Eis?“, fragte Marc leicht verwirrt, „dort soll es warm sein, wie habe ich das zu verstehen?“ Lachend antwortete Avraham: „Das wirst du dort schon merken.“
Marc schaute nach oben und sah nichts außer die Dunkelheit, sie mussten bereits einige Kilometer unter dem Berg sein, da das helle Licht der vielen Augen komplett verschwand. Nur die blaue Fläche leuchtete mittlerweile. An die Wände schauend, merkte er, wie schnell sie hinabfuhren. Die Steinwände rasten nur so an ihnen vorbei, während er die Beschleunigung nicht einmal wahrnahm. Er hätte auch in seinem Bett liegen können, bemerkte er und überlegte was mit seinen Pflegeeltern sei. Wenn er verschwunden war, würden sie nach ihm suchen, ihn jedoch niemals finden. Den Gedanken daran nicht aushaltend wandte er sich zu Avraham. Aber in dem Moment begann der blaue Kreis zu pulsieren. Marc wurde zunehmend unruhig, da die Vibrationen unangenehm waren während der Fahrt ins Ungewisse. Beruhigend sagte Avraham: „Wir haben es gleich geschafft, das ist vollkommen normal.“ Avraham wollte fortfahren, jedoch hielt der blaue Kreis plötzlich an. Verwirrt blickte er um sich herum. Marc wirkte erleichtert und dachte, die Fahrt sei vorbei. Jedoch merkte er, dass etwas nichts stimmte, da Avraham seine Ruhe verloren zu haben schien. „Sind wir nun da?“, fragte Marc.
Avraham aber ignorierte ihn und holte aus seiner Tunika einen kleineren Stab. Mit der linken Hand fuhr er an seinen Hals und seine Stimme wirkte um ein Vielfaches verstärkt: „Ich habe mich bei dem Hohen Rat angekündigt! Warum wird uns der Einlass verwehrt?“ Es war absolut still, weiterhin irritiert schaute sich Avraham um und schien nichts zu finden. An den Seiten stieg leichter schwarzer Rauch empor und bildete eine Säule vor beiden. Avraham nahm Marc schützend hinter sich und legte seinen großen Stock bei Seite. Nur den kleinen Stab haltend, richtete er diesen auf die Säule. Langsam legte sich der Rauch und ein junger Mann mit Hut und Anzug wurde sichtbar. Langsam aus dem Rauch tretend, zog der junge Mann seinen Stab und schien damit den Rauch einzusammeln. Nach wenigen Sekunden war er vollkommen im Stab verschwunden. Spottend sprach er zu Avraham: „Der große Meister kommt mal wieder nicht voran, wie ich sehe. Solltet Ihr nicht an der Hochschule unterrichten? Ah, stimmt da war ja etwas, Ihr seid für den Außendienst eingeteilt. Von höchster Priorität wie ich hörte. Aber ich habe schlechte Nachrichten für Sie, der untere Saal ist heute unzugänglich für nicht auserwählte Diener des hohen Rats.“ Leicht erbost entgegnete Avraham: „Lakaiem, Sie als Schutzherr sollten sich nicht so aufspielen. Wie du weißt bin ich im Gegensatz zu Ihnen kein Diener des Hohen Rats. Ich bin als Schulmeister der Hochschule sehr wohl befugt die Hallen zu betreten. Außerdem erwartet mich bereits das Orakel von Orimino.“ Marc blickte hinter der Tunika Avrahams nur kurz hervor und versteckte sich danach wieder. „Das ist also dein Auftrag da hinten, komm und lass dich einmal ansehen!“, reif er mit einer Stimme, die der eines Verrückten anmutete. Avraham jedoch lehnte seinen Wunsch ab: „Er ist dem Orakel vorbestimmt und Sie haben kein Anrecht Waisen zu betrachten, bevor sie beim Orakel waren.“ „Aaaber so selten bekommt man einen zu sehen. Als Zauberer der Badria geboren und als niederer Mensch der Zara aufgewachsen. Welch eine Bürde das doch sein muss, nicht zu wissen was oder wer man ist. Nun lieber Avraham, wollte das Orakel, dass Sie eintreten, hätte es längst einen Boten geschickt oder etwa nicht? Aktuell kann ich nichts für Sie tun. Sie werden wohl wieder nach oben fahren müssen und lieber Marc, ärgere nicht den Moresmeg bevor er dich ärgert.“, sprach er spottend und verschwand lachend in einer Säule aus Rauch in den Abgrund. Avraham steckte genervt seinen kleinen Stab zurück in die Tunika und griff nach seinem großen Stock. Langsam sprach er: „Innokem decenset!“ Aber es rührte sich nichts. Nur ein leichtes Brummen war zu hören. Erneut sprach er die Worte, doch der blaue Kreis fuhr nicht hinauf. Plötzlich pulsierte er wieder. Langsam schien er sich wieder zu bewegen, aber nach unten. Stück für Stück kamen sie voran. Avraham schmunzelte leicht selbstgefällig während der Kreis wieder an Fahrt zunahm. Avraham hatte Recht behalten, es wurde tatsächlich wärmer während von unten langsam Licht zu schillern begann. Behutsam landeten sie auf einer Runden Wasseroberfläche. Ein paar Meter entfernt war ein Tor, aus dessen Schlitzen Licht fiel. Aber es gab keine Brücke dort hin. Langsam erklang ein tiefer Bass, so tief, dass man ihn nur spürte, aber nicht mehr hörte. Aus dem Bodens stiegen Steinplatten hervor und das Tor öffnete sich. Helles Licht beleuchtete Marcs jugendliches Gesicht. Avraham gewährte ihm den Vortritt und stieß ihn leicht nach vorne. In die Halle der Weisheit eintretend sah Marc in der Mitte einen Thron mit einer Person gehüllt in weiße Tücher. Nur die Augen waren nicht bedeckt. Der Thron schien aus Glas zu sein, da er durchsichtig war. Die Wände waren verziert mit riesigen hohen Eiskristallen. Um die Person in der Mitte bildeten Wachen einen Kreis. Sie trugen dunkle Mäntel, eine Totenkopfmaske aus Chrom, mit leuchtenden Runen verzierte Schulterpolster und waren mit Schwertern bewaffnet. Langsam trat Marc näher zur Person im Kreis. Die Wachen bildeten lautlos eine Gasse und ließen beide passieren. Avraham verbeugte sich vor der Person in der Mitte des Raums. Marc fielen ihre weißen Augen auf, die weißer waren als der Schnee. Ruhig erhob sich die Person und begann zu sprechen in einer weiblichen engelsgleichen Stimme: „Marc Rufus Darwin und Reyak Desmond Avraham beide seid ihr nun endlich hier. Wie ich bemerkte, wollte man euch nicht eintreten lassen, das tut mir Leid.“ Ehrfürchtig blickte Avraham zu ihr rüber und nickte. „Euer Nicken kann ich nicht betrachten, wie ihr wisst, aber ich kann es sehen. Nun zu dir Marc Rufus Darwin, der Waise ist zurückgekehrt in seine Heimat und Zaubern kann er auch schon. So viele Fragen hast du und die Antworten sind so viele. Fangen wir doch einfach mit dem leichtesten an. Wo du bist? In der Badria und gerade in meinem bescheidenen Heim. Wer ich bin? Das Orakel von Orimino. Wie du hierher kamst? Durch einen Mutations- und Steuerungszauber. Warum ich dich Waise nenne? Weil du einer bist, aber das weißt du ja schon, schließlich ist dir bewusst, dass Familie Mayer nur deine Pflegefamilie ist. Wer deine Eltern waren? Große Zauberer, die dich in der Zara, deiner Welt, großziehen wollten. Leider ist das nicht gestattet und der Hohe Rat hätte einschreiten müssen. Aber aufgrund der großen Taten deiner Eltern wurde es ihnen erlaubt. Doch dies gefiel einigen Zauberern nicht, weswegen sie sie umbrachten. Im Blut deiner Eltern liegend fanden wir dich vor dem Portal. Warum du in die Zara geschickt wurdest? Dort warst du sicher, die Mörder hatten dich nicht bewusst am Leben gelassen, sie dachten, du seist auch tot. Daher mussten wir dich an den sichersten Ort bringen. Du bist der erste deiner Art. Ein Zauberer geboren in der Badria, aufgewachsen in der Zara und ausgebildet hier. An der Hochschule der bildenden Zauberei. Doch dein Schicksal wird noch mehr für dich bereithalten. Doch was das ist, kann ich noch nicht ganz klar sehen. Was nun passiert? Du wirst zunächst in deinen Körper zurückfahren in der Zara. Dann wirst du dich von deiner Familie lösen müssen und wirst an unserer Hochschule ausgebildet. Avraham wird dich begleiten und er ist auch dein Schulmeister. Was mit deinen Eltern passiert? Dazu wird dir Avraham alles sagen. Jetzt müsst ihr auf jeden Fall los, ich muss nun dem Hohen Rat beiwohnen. Meine treuen Wachen, führt sie bitte sicher zum Ausgang.
Vielen Dank Avraham, du hast deine Aufgabe löblich erfüllt, die Reliquie der Stalin möge wieder dir gehören. Ein Gesandter wird sie dir überbringen. Aber nun auf Wiedersehen!“, sagte das Orakel, während Marc es anstarrte. Seine Gedanken hatte es lesen können und sogar einige Fragen beantworten können. Völlig fasziniert betrachtete Marc das Orakel, dass sich in hellen Rauch auflöste und davonflog. Langsam traten die Wachen stumm an Avraham und Marc heran. Sie griffen behutsam nach ihnen und bildeten eine große Rauchwolke um sie herum. Marc merkte, dass sie flogen, aber sie waren so schnell, dass sie schon nach kurzer Zeit wieder am oberen Tor am Gipfel des Berges standen. Der Rauch verflog rasch und zog sich zurück in den Tempel im Loch, dass der blaue Kreis hinterließ, verschwindend. Ganz langsam schlossen sich die Tore, während der engelsgleiche Chorus wieder zu hören war. Vor ihnen nichts als die Tiefe und einige Wolken, die sanft um den Berg herum strömten. Mit fragendem Blick schaute Marc zu Avraham herüber und wollte wissen, was das eben zu bedeuten hatte:
„Also ich verstehe jetzt, dass es Welten gibt, auch wenn ich nicht verstehe, was ich damit zu tun habe. Ebenfalls verstehe ich, dass es Magie gibt und das Orakel wohl einen hohen Rang hat. Aber was sind die Welten und was ist dieser Hohe Rat?“
Avraham zögerte einen Moment und überlegte, wie er das für ihn veranschaulichen könnte. Langsam drehte er sich zu Marc und zückte seinen Stab. „Das hier sind Zauberstäbe, sie leiten den Fluss der unkontrollierten freigesetzten Zauber. Damit kannst du präzise deine Kräfte einsetzen. Während du bei deinen Pflegeeltern unkontrolliert deine Kräfte eingesetzt hast, konntest du gegen Lumerus deine Kräfte bündeln und auf einen Punkt richten.“, erklärte er Marc. „War das der alte Mann aus dem Park?“, fragte Marc. Avraham antwortete: „Exakt, das war Lumerus, er wird übrigens dein Meister in Verteidigungs und Angriffslehre sein. Er hat an der Schlacht um das Portal der Verdammten teilgenommen und ist ein erfahrener Kämpfer. Aber lass mich dir zunächst die drei Welten erklären.“ Vorsichtig hielt er seinen Zauberstab an Marcs Schläfe. Mit den Worten „Ayolem inpaparuk dule“ sah Marc plötzlich klare Bilder zu der folgenden Erzählung:
„Du kommst eigentlich aus der Badria. Hier leben die Zauberer und die magischen Kreaturen. Gelebt hast du in der Zara, dem Paradies der Welten. Frei von den Verdammten und ohne schwere Bürde. Die Verdammten leben in der Kalam. Die Legende besagt, dass es am Anfang drei Welten gab. Diese Welten beherbergten die unterschiedlichsten Kreaturen. Die Götter mischten zu blutrünstigste Wesen auf den Welten, sodass alle im Chaos verfielen. Also beschlossen sie, die Welten zu ordnen in einer Geraden. Stelle dir meinen Gehstock vor! Oben ist die Zara, eine sichere und behütete Welt. Es gibt keine stärkeren Kreaturen als den Menschen. Nun schau nach unten auf den Stock! Hier ist die Kalam. Sie beherbergt alles Blutrünstige, den Kreig, die Gewalt und den Tod in seiner qualvollsten Form. Das Leben dort gleicht einer permanenten Schlacht. Nun schau in die Mitte! Hier sind wir in der Badria. Wir bilden eine Barriere zwischen der puren Verwüstung, dem Untergang und Chaos der Kalam und der harmonischen und friedlichen Zara. Gäbe es uns nicht, wären beide Welten verloren. Unsere Aufgabe besteht darin, das Gleichgewicht zu wahren und zu verhindern, dass die weltlichen Barrieren miteinander verknüpft werden. Sollte jemals die Kalam einen direkten Zugang zur Zara erhalten, so ist das jüngste Gericht eingeläutet. Das müssen wir verhindern. So haben es die Bewahrer gewünscht.“
„Die Bewahrer?“, fragte Marc. Schnell erwiderte Avraham: „Die Bewahrer sind unsere Schutzherren. Die Legende besagt, dass drei Götter drei Welten schufen. Eine unterschiedlicher als die andere. Um das Chaos zu verhindern, schafften sie vier übermächtige Wesen. Diesen Wesen teilten sie große Aufgaben zu. Die Zara erhielt den ewigen Hirten Darach, der es sich zur Aufgabe machte, das ewige Paradies vor dem Leid der anderen Welten zu behüten. In die lodernde Kalam musste ein striktes Regiment einkehren, so schickten sie den Kriegsherren Aidan dort hin. Mit Gewalt sorgte er schnell für Ruhe. Die Zwischenwelt Badria sollte die Barriere zwischen beiden bilden. Daher entsandten sie zu ihr Carney den Schutzherren, der als einziger die Macht hatte, anderen Kreaturen magische Kräfte zu verleihen. Zuletzt brauchten sie einen Bewahrer, der den Anfang und das Ende als Bürde auferlegt bekam. Der weise Chronos sollte der Hüter der Zeit werden. Ihm wurde somit die größte Macht verliehen, da er die Geburt des Neuen und den Tod des Alten im Gleichgewicht hielt. Das sind die vier Bewahrer und die Säulen der Welten. Doch mittlerweile gelten alle als verschwunden.“ Die Sonne begann sich zu senken über dem Tempel Orimino und die Wolken schimmerten lila im Abendrot. „Welche Rolle spielt der Hohe Rat für euch?“, fragte Marc. „Der Hohe Rat ist an die Stelle Carneys getreten. Er führt uns und entscheidet über Recht und Unrecht. Er legt diplomatische Schachzüge fest, bestimmt die Strafmaße und sorgt für das Gleichgewicht. Die größte Strafe die er einem Wesen auferlegen kann, ist die Verbannung in das ewige Grab in der Kalam. Eine Festung in der die Tortur und die Qual einem jeden Tag aufs Neue auferlegt werden.“, antwortete Avraham. „Aber wer gibt ihnen das Recht, Wesen zu verbannen und für die Ewigkeit zu foltern?“, stocherte Marc weiter. In einem entsetzten Tonfall entgegnete Avraham: „Den Hohen Rat in Frage zu stellen, ist nicht gestattet. Sie sind von den Göttern persönlich berufen und ohne sie gingen alle Welten unter! Du musst noch Einiges lernen, bevor du dir ein solches Urteil erlauben kannst! Aber zunächst verschwinden wir hier. Wir müssen in die Zara zurückkehren und deine körperliche Hülle in die Badria schaffen. Greif meinen Arm.“ Wenig verständnisvoll für Avrahams blindes Vertrauen in den Hohen Rat ergriff Marc seinen Unterarm. „Du wirst gleich in deine Hülle zurückfahren. Ich hingegen werde erst durch das Portal gehen müssen. Warte bitte im Park auf mich!“, sagte Avraham zu Marc in einem beruhigten Tonfall. Mit den Worten „Makijemaslam“ verschwanden beide von dem kleinen Vorplatz des Tempels. Anders als die Wächter hinterließen sie weder Rauch noch Nebel, sie waren einfach verschwunden.
Aufbruch und Abschied
Langsam kehrte Marc in seinen Körper zurück, unberührt lag er an der gleichen Stelle, an der er seinen Körper verlassen hatte, im Park. Den Boden schmeckend legte er seine Hand vor den Kopf. Er verspürte Schmerzen in der Brust, aber nicht die Schmerzen, die er erwartet hatte. Sie waren unangenehm und ungewohnt. Ganz langsam öffnete er die Augen und hustete. Der Bohn schien warm und nicht kalt, wie er ihn in Erinnerung hatte. Die Sonne schien ihm direkt auf den Rücken. Gemächlich stand er auf, sich abstützend am Boden und den Knien. Er rieb sich den Dreck aus dem Gesicht und von der Kleidung. Suchend blickte er durch den Park, geblendet von der Sonne. Avraham war jedoch nirgends zu sehen und auch nicht der alte Mann, der ihn auf die Reise schickte. Alles Erlebte kam ihm plötzlich wie ein Traum vor. Mit müdem Schritt näherte er sich der Parkbank, auf der er dem alten Mann das erste mal begegnete. Locker ließe er sich auf sie fallen und suchte weiter nach vertrauten Gesichtern. Aber nirgends war jemand zu sehen, der in dem scheinbaren Traum vorkam oder den er wirklich kannte. Nur einige Senioren schlichen durch den Park mit ihren Hunden.
Ich schreibe an einem kleinen Fantasy-Schmöcker und bin ein recht junger Autor (18). Ein paar Feedbacks zu meinem Schreibstil wären richtig schön. Das sind die ersten 8 Seiten des Buchs, ich habe bereits einige mehr Seiten verfasst, doch wäre über ein Feedback zu genau diesem teil sehr erfreut.
Vielen Dank im Voraus






