Bis Gary kam.
Gary war ein farbiger US-amerikanischer Linebacker, der vom damals noch existierenden Football-Club Rheinfire für eine Saison nach Düsseldorf geholt worden war. Als er das erste Mal das Studio betrat, wurde es dunkel im Trainingsraum – und das hatte nichts mit seiner Hautfarbe zu tun. Gary verdunkelte die Sonne. Er war ca. 1,90 m groß, um die 110 kg schwer und sah aus wie gemeißelt. Sein Bizeps wölbte sich unter dem T-Shirt wie ein Fußball, sodass sein Kopf dagegen regelrecht klein wirkte. Gary hatte Muskeln an Stellen, an denen die meisten Studiomitglieder nicht einmal Stellen hatten, und war dabei hart wie ein Wasa-Knäckebrot. Rein optisch war Gary ein Gigant.
Als klar war, dass Gary während der Saison in unserem Studio trainieren würde, kochte die Gerüchteküche geradezu über: Selbsternannte Football-Experten verkündeten, dass NFL-Athleten sich täglich grammweise Steroide genehmigten und dass Gary keine Ausnahme sei. Andere Experten detektierten bei Gary auf den ersten Blick langjährigen Wachstumshormon-Abusus, und wieder andere glaubten, Trizeps- und Pectoralis-Implantate erkennen zu können. Ich bin überzeugt, dass, wenn jemand einen Unfall mit Gammastrahlen ins Spiel gebracht hätte, auch diese Theorie eifrig diskutiert worden wäre. Meinen Trainingspartner und mich interessierte dieser Umkleideraum-Funk indes überhaupt nicht. Uns interessierte nur eines: War Gary so stark, wie er aussah?
Mit einer gewissen Neugier erwarteten alle Garys erste Trainingseinheit. Als diese schließlich stattfand, waren die Meinungen darüber geteilt: Die einen empfanden seine Leistungen als beeindruckend, die anderen waren enttäuscht. Gary verzichtete komplett auf Grundübungen. Er arbeitete ausschließlich an Maschinen und schien sich dabei nicht einmal verausgaben zu wollen. Man sah ihn Schrägbankdrücken an der Multipresse mit lächerlichen 110 kg absolvieren. Er drückte das Gewicht jedoch so leicht und beinahe gelangweilt, dass sich unmöglich sagen ließ, wie viel Kraft er wirklich hatte. Eine ganz und gar unbefriedigende Situation! Wir beschlossen, Gary auf den Zahn zu fühlen.
"Es geht nicht darum, zu klären, wer den Dicksten hat", stellte mein Trainingspartner fest, als wir uns darüber unterhielten. "Es geht einfach darum, herauszufinden, ob Gary unseren Respekt verdient."
Ich nickte. Es ging natürlich darum, zu klären, wer den Dicksten hatte.
Dummerweise erwies es sich als nicht ganz einfach, Gary zu einer solchen Klärung zu bewegen. Wann immer man ihn fragte, ob er seine Brust nicht endlich einmal „richtig“ trainieren wolle, antwortete er ausweichend: "My pecs are doing fine." Beintraining schien er nur höchst sporadisch auszuführen, und an Übungen wie Kreuzheben dachte er nicht einmal.
Die Stunde der Wahrheit kam nach etlichen Wochen an eben jenem eingangs erwähnten Freitagabend: Mein Trainingspartner und ich hatten gerade mit dem Kreuzheben begonnen, als Gary im Studio aufkreuzte. Nachdem er lustlos ein paar Klimmzüge absolviert hatte, schlenderte er auf uns zu und fragte, wie lange wir noch sämtliche 25er-Gewichtsscheiben benötigen würden. Wir erklärten, dass wir noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag sämtliche 25er-Gewichtsscheiben benötigen würden, dass er aber gern eingeladen sei, sich am Kreuzheben zu beteiligen. Gary runzelte die Stirn. Er erklärte, dass er nicht besonders „familiar“ mit deadlifting sei. Wir zuckten die Schultern. Drauf geschissen. Schließlich stieß Gary die Hantel, die mit 210 kg beladen war, mit dem Fuß an. „You can lift that?“, fragte er mich – wohl, weil ich der dünnere von uns beiden war.
"Of course!" nickte ich.
"On reps!" ergänzte mein Trainingspartner. Das war Aufschneiderei, denn bis dato hatte ich lediglich 2er-Wiederholungen mit diesem Gewicht geschafft.
Gary setzte sich auf eine Trainingsbank, streckte die Beine aus und sagte: "Let me see!"
Meine Gesäßmuskeln verkrampften sich. Mein Trainingspartner nahm mich zur Seite. "Jetzt zeig’ ihm um Himmels willen keine Pussy-2er-Wiederholungen-Show“, flüsterte er. „Du musst DREI Wiederholungen machen. Mindestens. Und das schaffst du auch."
"Klar!" nickte ich und zog meinen Gürtel stramm.
"Arsch runter, Arme lang, Hohlkreuz – und dann ZIEHEN!" Mein Trainingspartner schlug mir auf den Rücken, dass es klatschte.
Ich fasste die Hantel im Kreuzgriff, ging in die Hocke – und zog. Die erste Wiederholung war brutal schwer. Die zweite auch; wackelnd brachte ich die Hantel nach oben.
"Weiter geht’s!" brüllte mein Trainingspartner. „Drei mit Geschrei!“
Ich ging wieder in die Hocke, ließ die Hantel scheppernd auf den Boden fallen und ochste sie ein drittes Mal hoch.
"Weiter. Vier am Klavier!"
Noch einmal runter, noch einmal hoch. In den Augenwinkeln sah ich schwarze explodierende Punkte. Unendlich langsam kroch die Hantel über meine Oberschenkel.
"Und noch weiter! Fümf … ohne Strümpf!"
Zum Glück rauschte zu diesem Zeitpunkt das Blut schon so laut in meinen Ohren, dass ich diesen elenden Rüttelreim nicht hörte. Mit fingerdicken Adern am Hals schaffte ich es schließlich, mich aufzurichten und den Rücken durchzudrücken. Danach hatte ich das Gefühl, sterben zu müssen.
"Gut gemacht!" hörte ich die Stimme meines Trainingspartners wie durch Watte.
"What does that mean – fumf oone strumpf?", fragte Gary neugierig.
"“It means", erklärte mein Trainingspartner trocken, "that you may get your kicks on rep number six."
Gary verzog keine Miene. Er starrte auf das Gewicht, dann lachte er kurz, bückte sich und umfasste die Hantel wie einen Wagenheber. “Fuck it!”, schrie er, und hievte das Gewicht nach oben – unaufgewärmt. Seine Technik war scheiße, und er hatte Mühe, die Balance zu halten; an roher Kraft mangelte es ihm jedoch offenbar nicht. "Two!" brüllte er, nachdem er das Gewicht wieder heruntergelassen und erneut nach oben gehievt hatte, "three, four, five …!" Die fünfte Wiederholung war arg zittrig, er konnte sie nur mit Mühe zu Ende bringen. "And on SIX I’LL GET MY KICKS!" keuchte er trotzig, ließ die Hantel auf den Boden klatschen und zog sie stöhnend ein sechstes Mal nach oben. "Yeah!" zischte er, als er den Rücken durchdrückte. Gary war kein Blender, so viel war gewiss.
"Irgendwie ist das unfair!" murmelte ich. "Er kann nicht so aussehen und stark sein."
"Er hat bestimmt ein lächerlich kurzes Glied", sagte mein Trainingspartner leise. Und dann laut in Richtung Gary: "Yeah, you fucked it!"
"I did!" Gary grinste wie ein Honigkuchenpferd. Und dann tat er etwas, das auf meiner persönlichen Abgefahrenheitsskala eine Zehn Komma Null erhielt: Er zog auf einer Seite der Hantel die Halteklammer und die kleineren Scheiben ab, pflückte die äußerste 25er-Scheibe von der Stange, griff sich dann von oben in die Trainingshose, holte seinen Schwanz hervor und steckte ihn durch das Scheibenloch.
Und er hatte Mühe, seinen nicht erigierten Penis durch die 50er Bohrung zu bekommen!
Ich schwöre, dass ich so etwas noch nie in meinem Leben gesehen hatte: Der Mann war zwischen seinen Beinen offensichtlich mit einem dritten Unterarm ausgestattet, und damit vögelte er grinsend die Gewichtsscheibe. Vor allen Leuten. Wir waren perplex.
"Was – zur – Hölle – ist – das?" fragte ich meinen Trainingspartner, nachdem ich meinen Mund mit heruntergeklappter Kinnlade ausgiebig hatte lüften lassen. "Das sieht man doch", antwortete dieser nach einer Weile. „Ein Pony, verkleidet als Footballspieler."
Von diesem Tag an genoss Gary unseren uneingeschränkten Respekt. Fünf Wiederholungen mit 210 kg sollten mir allerdings erst ein gutes halbes Jahr später wieder gelingen, bei deutlich höherem Körpergewicht.
HAHHAHAHHA Ich hab mich totgelacht







